18910606 02 Hail Maerstetten TG

Aus Schweizer Sturmarchiv
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Quick Facts

Type of Event Large Hail
Verification State QC1
ESWD Not reported
Location Mainly affected by the large hail was Neerach (ZH), Hochfelden (ZH), Buch am Irchel (ZH), Hettlingen (ZH), Altikon (ZH), Amlikon-Bissegg (TG), Berg (TG), Langrickenbach (TG)
Time / Duration 18.30 local time +/- 30 min
Date 06.06.1891
Magnitude / Dimension Estimated 3 - 5 cm in diameter
Damage damaged crop, damaged vineyard, broken windows, broken tiles, layer of hail
Fatalities -
Injuries -
Report Source Historical report
Remarks -

Ereignis

Gewitterzug (a) aus den SE-Abhängen des Berner- und Solothurner-Jura nordostwärts nach dem Bodensee ziehend.
Verheerender Hagel-Fall im Kanton Zürich zwischen Lägern und Irchel!
Zugrichtung von Südwesten nach Nordosten. Gewitterzuglänge 140km. Zuggeschwindigkeit 42km/h.

Mit zerstörender Gewalt hauste das Hagelwetter im Kanton Thurgau. Als Beispiel nur folgende kurze Notiz des «Thurgauer Tagblattes»:

Schon wieder haben wir von einer Elementarkatastrophe zu berichten, die am Samstag Abend einen Teil unseres Kantons heimsuchte und wahrscheinlich über die Kantonsgrenzen hinaus Schaden anrichtete.
Nachdem den ganzen Tag über eine drückende Hitze geherrscht hatte, sammelten sich gegen Abend im Westen schmutziggelbe Wolkenmassen, die nichts Gutes ahnen liessen.
Die bange Frage: Wie wird das ablaufen? schwebte über Aller Lippen, und auch die Beherztesten konnten sich eines bänglichen Gefühls nicht erwehren.
Leider erwies sich dasselbe nur allzu gerechtfertigt, denn ein solches Unwetter, wie es dieser schwülen Hitze folgte, übertraf auch die schlimmsten Befürchtungen.

Wir schildern in Nachstehendem das Hagelwetter, wie wir es auf der Station Märstetten beobachteten.
Dumpfes Tosen von Westen her verkündete, dass Unheimliches im Anzuge sei. Einem Blitzstrahl folgte ein kurzes Donnerrollen, dann fiel Hagel: Die Uhr zeigte zwanzig Minuten vor sieben.
Vom Sturm gepeitscht, schlugen die Hagelkörner an die Fensterladen, wo man die Geistesgegenwart besessen, dieselben sofort zu schliessen, wo nicht, da wurden die Fensterscheiben von den nussgrossen Steinen zertrümmert.
Volle zehn Minuten dauerte das Hagelwetter, und als man nach Ablauf dieser eine Ewigkeit scheinenden qualvollen Minuten ins Freie trat, da brach einem schier das Herz ob der Verwüstung, die sich dem Auge darbot.
Den Boden bedeckte eine fast drei Zoll hohe Schicht von haselnuss- bis baumnussgrossen Schlossen, auch solche in der Grösse von Hühnereiern fanden sich darunter.
Was die für Schaden gestiftet, das kann man sich leicht denken.

Das Gras der Wiesen war wie in den Boden hinein gewalzt, oder um einanderes Bild zu gebrauchen, es schien, als ob ein Regiment Soldaten über dieselbemarschiert.
Unter den Bäumen war der Boden wie besäet mit Früchten, Laub und bis zu anderthalb Fuss langen Zweigen, einzelne Bäume sind fast entblättert, fast alle sehe aus wie mit Messern zerhackt.
Auch die Getreideäcker sind schlimm mitgenommen worden. Wir sahen in der Nähe von Märstetten einen Weizenacker, auf dem kaum ein aufrecht stehendes Pflänzchen zu entdecken ist.
Fast sämtliche jungen Hälmchen sind über der Mitte wie entzwei geschnitten, oder dann geknickt, dass ein Fortwachsen unmöglich ist.
Traurig sieht es in den Reben aus. Das Rebgelände z.B. in der Nähe von Rank-Märstetten ist total verwüstet.
Das Reblaub und die jungen Schosse mit den reichlich vorhandenen Träubchen liegen entweder auf dem Boden, oder die Zweiglein hängen schlaff herab und verdorren.
Nur hie und da ist ein Schösschen unversehrt geblieben.

Charakteristische Gewitterzüge am 6. Juni 1891
(Grössere zusammenhängende Hagelstriche sind durch Schraffierung markiert)

© MeteoSchweiz, Lith. Joh. Frey, Zürich

Umfangreiche Analyse und Untersuchung von Herr Dr. Clemens Hess

Zusammenfassung von Michael Graf

06.06.1891 - Über den Hagelschlag im Kanton Thurgau

„Das Hagelwetter, welches am 6. Juni abends in der siebten Stunde mit verheerender Gewalt den Kanton Thurgau in westöstlicher Richtung durchzog,
hatte seinen Entstehungsherd in dem nordöstlich von der Lägern, östlich von der Egg und südöstlich von Stadelerberg gelegenen Gelände mit den Ortschaften Schöfflisdorf, Steinmaur, Bachs und Stadel.
Nachdem dasselbe in dieser Gegend fast überall gleichzeitig kurz vor 6 Uhr mit voller Wucht eingesetzt hatte, richtete es innerhalb weniger Minuten die zu schönen Hoffnungen berechtigten Kulturen fast vollends zu Grunde...“.
So beginnt die Abhandlung von Dr. Clemens Hess, welche in den „Mitteilungen der Thurgauischen Naturforschenden Gesellschaft“ abgedruckt wurde.
Der Hagelzug wies beinahe durchgehend eine Breite von 8 km auf. Die Zugrichtung war, wie schon im obigen Text erwähnt West-Ost.

Schäden

Nennenswerte Schäden an Kulturland und Gebäuden traten in einem schmaleren Streifen mit einer variablen Breite von durchschnittlich 4 km auf.
Nach Süden hin war der Hagelzug schärfer abgegrenzt als nach Norden. Südlich wird nur von leichtem Regen berichtet, während nördlich davon intensiver Gewitterregen gemeldet wurde.
Der Streifen mit der grössten Schädigung verläuft hin und her und beschreibt eine Art Zick-Zack-Linie.
Auch in den Wäldern gab es grössere Schäden. Die Böden waren übersäht mit Ästen bis 1,5 cm Stärke.

Grosse Schäden wurden durch das Gewitter auf dem Wellenberg (westlich von Frauenfeld) verursacht.
Aus Thundorf wird berichtet: "Am ärgsten hauste das Unwetter auf dem Rücken des Wellenberges.
Die Bäume wurden aller Früchte beraubt, viele Äste wurden so sehr zerschlagen, dass die Rinde in Fetzen herunterhängt.
Das Gras kann nur mit grosser Mühe noch abgeschnitten werden. Die Getreideäcker liefern keinen Ertrag mehr."
Vor dem Gewitter war es praktisch windstill. Erst einige Sekunden bevor der Hagelschlag eingesetzt hatte, wütete ein „brausender Weststurm“.
Am Nordrand des Hagelstreifens kamen die Böen aus SW, am Südrand aus NW, ansonsten kamen sie aus West.
Ausserdem wurden viele Fensterscheiben an der Westseite der Gebäude zerschlagen. Die Korngrösse betrug meist Baumnussgrösse.
Das grösste gemessene Hagelkorn hatte einen Durchmesser von 38 mm.

Dauer

Die Hagelzelle entstand kurz vor 18 Uhr in der Region von Stadel, Buchs und Steinmaur.
Der Hagel setzte in Frauenfeld um 18:30 Uhr ein und erreichte das Bodenseeufer 19:00 Uhr. Daraus lässt sich eine mittlere Zuggeschwindigkeit von 15 m/s oder 54 km/h herleiten.
Der Hagelschlag dauerte im Zentrum des Gewitters ca. 9 min, der verheerende Hagelschlag ca. 4,5 min. Die Hagelzone war demnach bis 8 km breit, die Zone mit starkem Hagel ca. 4 km.
Sie hatte also eine rundliche Form, da die Länge des Hagelzuges auch etwa 8 km betrug.
Dr. Clemens Hess schloss daraus „dass ein Horizontalschnitt durch das Hagel bildende Ganze nahezu kreisförmig sei.
In der Axe der Hagelzone hat demnach der Gesamthagelschlag so lange gedauert, als ein Cylinder von 4 km Durchmesser braucht, um über einem Orte hinwegzuziehen...“

Interessant finde ich auch diesen Text, obwohl es für mich nicht nachvollziehbar ist, wie er zu diesem Schluss kommt.
„Auf dem verwüsteten Wege des Tornados zeigen die hingestreckten Gegenstände die Richtung des Windstosses an, welche im allgemeinen, wie es scheint, in einem beträchtlichen Streifen zu beiden Seiten derselben (und namentlich der rechten) mit der Fortpflanzungsrichtung des ganzen Tornados übereinstimmt.
Ähnlich kurze Windstösse von zerstörender Kraft kommen in Europa, obwohl sehr selten und in geringerer Heftigkeit vor; auch sie hinterlassen, namentlich in Wäldern, eine schmale, aber lange Bahn, die durch Zerstörungen erkennbar bleibt.
In Berücksichtigung dieser Beschreibung scheint es mir unzweifelhaft, dass das von uns am 6. Juni erlebte Hagelwetter eine meteorologisches Phänomen war, das in die Gattung der nordamerikanischen Tornados einzureihen ist.“

Fazit

Ich vermute, dass es sich um eine Superzelle handelte. Dafür sprechen:

- die W-E-Zugrichtung
- dass es sich um eine isolierte Zelle handelte
- dass die Zelle eine Hagelzone von 8 km Durchmesser und eine Zone mit starkem Hagelschlag von 4 km Durchmesser auswies.
- die Korngrösse des Hagels (bis 4 cm)
- die lange Lebensdauer (mindestens 1 Stunde)
- die hohe Zuggeschwindigkeit (54 km/h)
- die scharfe Abgrenzung nach Süden

Ich konnte die Zugbahn der Zelle aufgrund der detaillierten Beschreibung in etwa rekonstruieren. Der schwarze Rand bezeichnet den Rand des Hagelzuges. In dem gelben Streifen traten nennenswerte Schäden auf.
Im roten Streifen traten verheerende Schäden auf. Er ist zwischen 1 und 4,5 km breit. Der rote Strich bezeichnet die Linie der schwersten Schäden im Hagelzug:




© Michael Graf

Medienlinks


© MeteoSchweiz ANNALEN der SCHWEIZERISCHEN METEOROLOGISCHEN ZENTRAL-ANSTALT 1891

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