19540701 01 Flood Alpen: Unterschied zwischen den Versionen

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==Ereignis==
==Ereignis==
'''Beträchtliche Unwetterschäden am Alpennordrand und im Engadin infolge schwerer Regenfälle. Die Reuss brach im Urnerland und im aargauischen Unterlauf aus, ebenso der Rhein im St.Galler Rheinland.<br/>
'''Am 1. Juli 1954 sind im Gebiet des Muotatals, des Pragelpasses und Walensees sowie strichweise im Kanton Appenzell Niederschlagsmengen von 100 bis 130 mm gefallen.<br/>
'''Für das schadenreichste Innhochwasser der letzten 50 Jahre wurden im Kanton Graubünden allein an Verbauaufwendungen mehr als 14 Millionen Franken notwendig.<br/>
'''Im Alpengebiet der Zentral- und Nordostschweiz sind fast überall 70 mm überschritten worden und das Gebiet mit mehr als 40 mm umfaßt überhaupt den ganzen Bereich des  Alpennordhangs,<br/>
Quelle: [http://www.sturmarchiv.ch/images/8/81/Roethlisberger_Chronik_Unwetterschaeden_CH.pdf Gerhard Röthlisberger - Chronik der Unwetterschäden in der Schweiz]<br/><br/>
'''ferner Nord- und Mittelbünden sowie einen Streifen im mittleren Tessin.<br/>
'''Die Niederschläge setzten in Zürich am 30. Juni um 18 h, in der Westschweiz schon am Morgen dieses Tages ein und dauerten bis um etwa 1 h des 2. Juli.<br/>
'''Das Regengebiet erstreckt sich auch über Westdeutschland längs des Rheins bis Frankfurt und dann weiter als schmaler Streifen etwa bis Hannover.<br/>


Durch den Rhein überflutete Sarganser Ebene.<br/>
'''Am Vortag, den 30. Juni hatte die Morgen Wetterkarte noch einen Hochdruckrücken erkennen lassen, der sich vom Atlantikhoch<br/>
[[File:19540821 01 Flood Alpen_Sarganserebene01.jpg|1000px]]<br/>
'''(dessen Maximum in 45° nördlicher Breite  und 25° westlicher Länge lag) über Großbritannien nach Norddeutschland erstreckte.<br/>
Quelle: Staatsarchiv St.Gallen<br/><br/>
'''Die Bodenwinde wehten in Nordfrankreich somit aus Ost. Das war auch in der Nordsee noch den ganzen Tag der Fall.<br/>
'''In Südfrankreich war die Windrichtung etwas unbestimmt (schwaches Teiltief der Mittelmeerdepression) immerhin wehten in der Rhoneebene ausgesprochene Nordwinde.<br/>


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'''Ein ganz anderes Bild bietet die Höhenwetterkarte. Die Isohypsen der 500-Millibarfläche zeigen eine Tiefdruckrinne,<br/>
'''Die Niederschläge vom 21. August 1954 überschreiten den Betrag von 40 mm in der ganzen Schweiz, der Nordfuß des Jura ausgenommen.<br/>
'''die sich von Norddeutschland über Belgien, Nordwestfrankreich, den Golf von Biscaya bis zum Atlantik westlich von Portugal erstreckt.<br/>
'''Im westschweizerischen Jura und im Alpengebiet nordöstlich der Linie: Brig, Kandersteg, Langnau sind noch Beträge von über 70 mm gemessen worden.<br/>
'''Südfrankreich und die Schweiz liegen somit im Bereich einer kräftigen, relativ warmen Höhenströmung aus Westsüdwest, welche somit mehr oder weniger entgegengesetzt  der Bodenströmung verläuft.<br/>
'''Die größten Tagesmengen sind jedoch auf der Alpensüdseite zu verzeichnen, und zwar mehr als 120 mm einerseits im Quellgebiet des Tessins, der Maggia und im Centovalligebiet, anderseits im Bergell und im Berninagebiet.<br/><br/>
'''Daher fällt in Südfrankreich und in der Westschweiz zeitweise Niederschlag während in der Nordostschweiz, die im Windschatten liegt, wenigstens nachmittags bei  leichter Bise sonniges Wetter herrschte.<br/>
'''Es handelt sich offenbar um den Aufgleitregen der warmen Höhenluft aus WSW über die kalte kontinentale Bodenluft aus Ost bis Nord.<br/>
'''In der Folge verlagerte sich das atlantische Hoch südostwärts in der Richtung auf Südwesteuropa während gleichzeitig über Italien sich ein Tief entwickelte,<br/>
'''das sich bis zum 2. zu einer ziemlich tiefen Depression über Jugoslawien—Ungarn—Südpolen auswuchs.<br/>


'''Diese sehr beträchtlichen Niederschlagsmengen haben namentlich im Bereich des Alpennordhangs beträchtliche Schäden durch Überschwemmungen und Murgänge zur Folge gehabt.<br/>
'''Damit bildete sich in Frankreich am 1. eine kräftige Bodenströmung aus Nordwesten aus. Auch die Höhenkarte von 3 h zeigt bereits Nordwestwind über Bordeaux.<br/>
'''So verursachte z.B. die Reuß Überschwemmungen im Gebiet der Gemeinde Erstfeld und zwischen Attinghausen und Seedorf, aber auch im Unterlauf zwischen Jonen und  Oberlunkhofen.<br/>
'''Das Höhentief lag um diese Zeit noch über Frankreich, verlagerte sich jedoch bis zum 2. südostwärts nach Norditalien, wobei sich das Nordwestwindfeld über ganz Westeuropa ausdehnte.<br/>
'''Der Flazbach überschwemmte die Gegend zwischen Pontresina und Samedan. Im Engadin und im oberen Bergell wurde die Malojastraße stellenweise zerstört.<br/>
'''Während dieser Umgestaltung der Strömungsverhältnisse sind in der Schweiz die größten Niederschläge gefallen.<br/>
'''Dabei ging die Temperatur ziemlich gleichmäßig um etwa 6° in der Höhe (Säntis 2500 m) zurück.<br/>
'''Die Station Säntis registrierte dauernd bis in den Nachtag (2. Juli)  hinein Winde zwischen W und NW, wobei die größte Windstärke in die Zeit des Druckanstiegs am Boden (15 bis 24 h des 1. Juli) entfällt.<br/>


'''Im Tessin begannen die Niederschläge schon am 19. Sie fielen hier mit Unterbrechungen.<br/>
'''Danach wird also die Nordwestströmung durch die Alpen mehr oder weniger in die Westostrichtung umgelenkt.<br/>
'''Die ergiebigsten Perioden sind in Locarno-Monti die folgenden gewesen: Am 21., von 9 h 38 bis 13 h 28 und von 18 h 26 bis 22 h 20 (verbunden mit Gewittern), am 22. von 6 h 26 bis 9 h 45.<br/>
'''Die Kaltluft bricht hier aus W bis NW unter die warme Höhenströmung ein und verdrängt dieselbe.<br/>
'''Auf der Alpennordseite sind schon am 20. Niederschläge gefallen. Die Hauptperiode begann in Zürich um 10 h des 21. und dauerte bis 12 h des 22. im wesentlichen wäh-rend des Temperaturrückgangs, der insgesamt etwa 6° betrug.<br/><br/>
'''Am Morgen des 2. liegt das Höhentief etwa über Venedig und ebendaselbst am Boden ein Ausläufer der Balkandepression.<br/>
 
'''Trotzdem wehten die Winde auf der Alpennordseite noch aus W bis NW. München registrierte am 2. um 3 h in 1500 m Höhe NW, in 5800 m Höhe noch SW.<br/>
'''Die allgemeine Wetterlage war folgende:<br/>
'''Die «Temps» von Payerne vom 1. und 2. Juli um 3 h zeigen, daß eine Abkühlung nur bis in etwa 3500 m Höhe erfolgt war.<br/>
'''Wie aus der Höhenkarte zu ersehen ist, befand sich die Schweiz im Bereich einer starken Höhenströmung, die am 21. um 3 h aus WSW, am 22. um 3 h aus SSW wehte.<br/>
'''Die Höhenwetterkarte läßt leider zu wenig Einzelheiten dieser Strömungs- und Luftschichtungsverhältnisse erkennen.<br/>
'''Sie fällt mit den Isothermen der mittleren Temperatur der unterhalb liegenden Luftmassen zusammen.<br/>
'''Immerhin sei bemerkt, daß sich das westdeutsche Niederschlagsgebiet, das sich langsam nach Osten verschoben hatte, ungefähr mit dem Höhentrog (Richtung Nord-Süd)   deckte.<br/>
'''Das Minimum des Höhentiefs lag über der Kanalgegend. Von ihm aus erstreckte sich ein Ausläufer nach Nordwestspanien.<br/>
'''Er verlagerte sich bis zum Nachtag wegen eines Warmluftvorstoßes aus Westen nach Südostfrankreich. Die Bodendruckverteilung war flach.<br/>
'''Die Bodenwetterkarte vom 21. um 13 h zeigt ein Druckminimum von 1006 mb bei Marseille.<br/>
'''Von ihm aus erstreckt sich ein Tiefdrucktrog ungefähr der französischen Ostgrenze folgend, dann über Süddeutschland nach einem zweiten Tief über Böhmen.<br/>
'''Ferner zeigt die Karte zwei Regengebiete, das eine über Nordwestdeutschland (Zentrum bei Hannover), das andere über dem französischen Rhonetal und der Schweiz.<br/>
'''Sie liegen beide unter der oben erwähnten Höhenströmung aus SW bis S. In den tieferen Luftschichten finden wir in Nordwestdeutschland kräftige Ostwinde.<br/>
'''Die dortigen Niederschläge sind Aufgleitniederschläge der warmen Luft.<br/><br/>
 
'''Die Niederschläge in der Schweiz, nördlich der Alpen, dagegen sind auf den Einbruch der kälteren Luft aus Westen zurückzuführen, diejenigen der Alpensüdseite eine  Folge des Staus der Südluft an der Alpenkette.<br/>
'''Ersteres geht aus dem anhaltenden Temperaturrückgang während der Dauer der Niederschläge hervor, sowie daraus, daß dieselben in der Westschweiz bedeutend früher  einsetzten als in Zürich.<br/>
'''In der Westschweiz ebenso wie in Südostfrankreich wurde der Einbruch der Kaltluft von Gewittern begleitet.<br/>
'''Diesen auf Grund der Windströmungen nachzuweisen, erweist sich jedoch wie immer als unmöglich, weil das hierzu erforderliche Beobachtungsmaterial (Höhenwinde) viel  zu spärlich ist.<br/>
'''Es sei aber erwähnt, daß im Bereich des Windschattens der Alpen die Winde offenbar schwach waren und aus sehr wechselnden Richtungen wehten.<br/>
'''Gewitter wurden im Nordosten des Landes nicht beobachtet. Auffallend sind die starken Barometerschwankungen. Es sind aber keine deutlichen Wellen nachzuweisen wie in anderen Fällen.<br/>
 
'''Auf dem Säntis (2500 m) zeigt der Wind starke Schwankungen zwischen S und  E.<br/>
'''Der Einbruch der Kaltluft in den Hochlagen der Alpennordseite zeigt sich an durch eine Verschärfung des Temperaturrückgangs und eine Winddrehung auf Gütsch (2300 m) um 23 h des 21.<br/>
'''(Drehung von SSW nach N) auf dem Säntis (2500 m) um 5 h des 22.<br/>
'''Um diese Zeit setzte auch der Druckanstieg in den Niederungen ein. Der südliche Ausläufer des Höhentiefs, der am 22. um 3 h wie schon erwähnt noch über  Südostfrankreich lag,<br/>
'''wanderte bis zum 23. weiter nordostwärts nach Süddeutschland. Innerhalb dieser Periode müssen daher die Höhenwinde auf W gedreht haben.<br/>
 
'''Wie die Bodenwetterkarte des 22. (um 7 h) zeigt, liegt nun das Tiefdruckgebiet im Osten der Alpen.<br/>
'''Seine Troglinie verläuft etwa von Amsterdam über Leipzig, Prag (Min.1008 mb), Wien, nach Ancona (Min.1007 mb).<br/>
'''Während die Kaltluft auf der Alpennordseite inzwischen einen relativen Hochdruckkeil aufgebaut hat (etwa 1012 mb)<br/>
'''ist über der westlichen Poebene ein weiteres Minimum von 1004 mb stehen geblieben, das sich jedoch fortan rasch ausfüllte.<br/>
 
'''Ähnliche Fälle wurden schon mehrfach beobachtet.<br/>
'''Hinsichtlich der Druckverteilung sowohl wie der Niederschlagsverteilung dem vorliegend Fall sehr ähnlich sind die großen Niederschläge vom 13. und 28. August 1935, 5. August 1939 und 27. Mai 1951.<br/>
Quelle: M. Grütter<br/>
Quelle: M. Grütter<br/>



Version vom 3. März 2020, 17:24 Uhr

Quick Facts

Type of Event Flood
Verification State QC1
ESWD Not reported
Location Kanton Schwyz, Kanton Glarus, Kanton Uri, Kanton St.Gallen, Kanton Appenzell
Time / Duration 24 hours
Date 01.07.1954
Magnitude / Dimension >100mm of rain in 24 hours
Damage -
Fatalities -
Injuries -
Report Source chronicles, general archive
Remarks -

Ereignis

Am 1. Juli 1954 sind im Gebiet des Muotatals, des Pragelpasses und Walensees sowie strichweise im Kanton Appenzell Niederschlagsmengen von 100 bis 130 mm gefallen.
Im Alpengebiet der Zentral- und Nordostschweiz sind fast überall 70 mm überschritten worden und das Gebiet mit mehr als 40 mm umfaßt überhaupt den ganzen Bereich des Alpennordhangs,
ferner Nord- und Mittelbünden sowie einen Streifen im mittleren Tessin.
Die Niederschläge setzten in Zürich am 30. Juni um 18 h, in der Westschweiz schon am Morgen dieses Tages ein und dauerten bis um etwa 1 h des 2. Juli.
Das Regengebiet erstreckt sich auch über Westdeutschland längs des Rheins bis Frankfurt und dann weiter als schmaler Streifen etwa bis Hannover.

Am Vortag, den 30. Juni hatte die Morgen Wetterkarte noch einen Hochdruckrücken erkennen lassen, der sich vom Atlantikhoch
(dessen Maximum in 45° nördlicher Breite und 25° westlicher Länge lag) über Großbritannien nach Norddeutschland erstreckte.
Die Bodenwinde wehten in Nordfrankreich somit aus Ost. Das war auch in der Nordsee noch den ganzen Tag der Fall.
In Südfrankreich war die Windrichtung etwas unbestimmt (schwaches Teiltief der Mittelmeerdepression) immerhin wehten in der Rhoneebene ausgesprochene Nordwinde.

Ein ganz anderes Bild bietet die Höhenwetterkarte. Die Isohypsen der 500-Millibarfläche zeigen eine Tiefdruckrinne,
die sich von Norddeutschland über Belgien, Nordwestfrankreich, den Golf von Biscaya bis zum Atlantik westlich von Portugal erstreckt.
Südfrankreich und die Schweiz liegen somit im Bereich einer kräftigen, relativ warmen Höhenströmung aus Westsüdwest, welche somit mehr oder weniger entgegengesetzt der Bodenströmung verläuft.
Daher fällt in Südfrankreich und in der Westschweiz zeitweise Niederschlag während in der Nordostschweiz, die im Windschatten liegt, wenigstens nachmittags bei leichter Bise sonniges Wetter herrschte.
Es handelt sich offenbar um den Aufgleitregen der warmen Höhenluft aus WSW über die kalte kontinentale Bodenluft aus Ost bis Nord.
In der Folge verlagerte sich das atlantische Hoch südostwärts in der Richtung auf Südwesteuropa während gleichzeitig über Italien sich ein Tief entwickelte,
das sich bis zum 2. zu einer ziemlich tiefen Depression über Jugoslawien—Ungarn—Südpolen auswuchs.

Damit bildete sich in Frankreich am 1. eine kräftige Bodenströmung aus Nordwesten aus. Auch die Höhenkarte von 3 h zeigt bereits Nordwestwind über Bordeaux.
Das Höhentief lag um diese Zeit noch über Frankreich, verlagerte sich jedoch bis zum 2. südostwärts nach Norditalien, wobei sich das Nordwestwindfeld über ganz Westeuropa ausdehnte.
Während dieser Umgestaltung der Strömungsverhältnisse sind in der Schweiz die größten Niederschläge gefallen.
Dabei ging die Temperatur ziemlich gleichmäßig um etwa 6° in der Höhe (Säntis 2500 m) zurück.
Die Station Säntis registrierte dauernd bis in den Nachtag (2. Juli) hinein Winde zwischen W und NW, wobei die größte Windstärke in die Zeit des Druckanstiegs am Boden (15 bis 24 h des 1. Juli) entfällt.

Danach wird also die Nordwestströmung durch die Alpen mehr oder weniger in die Westostrichtung umgelenkt.
Die Kaltluft bricht hier aus W bis NW unter die warme Höhenströmung ein und verdrängt dieselbe.
Am Morgen des 2. liegt das Höhentief etwa über Venedig und ebendaselbst am Boden ein Ausläufer der Balkandepression.
Trotzdem wehten die Winde auf der Alpennordseite noch aus W bis NW. München registrierte am 2. um 3 h in 1500 m Höhe NW, in 5800 m Höhe noch SW.
Die «Temps» von Payerne vom 1. und 2. Juli um 3 h zeigen, daß eine Abkühlung nur bis in etwa 3500 m Höhe erfolgt war.
Die Höhenwetterkarte läßt leider zu wenig Einzelheiten dieser Strömungs- und Luftschichtungsverhältnisse erkennen.
Immerhin sei bemerkt, daß sich das westdeutsche Niederschlagsgebiet, das sich langsam nach Osten verschoben hatte, ungefähr mit dem Höhentrog (Richtung Nord-Süd) deckte.
Quelle: M. Grütter

Messdaten

Übersicht Regenmengen >70mm vom 01.07.1954

© Kai Kobler >> Link zu interaktiver Karte

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