20120715 03 Tornado Oberkirch LU

Aus Schweizer Sturmarchiv
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Diese Seite wurde inhaltlich zuletzt aktualisiert am 3. April 2013

Quick Facts

Type of Event Tornado (later waterspout as it moved into the Lake Sempach)
Verification State QC1
ESWD Not reported
Location / Path Oberkirch (LU), just south of Sursee (LU) - moving from West to East into the Lake Sempach
Time / Duration Time: Somewhen between 14.30 and 15.30 UTC (to be determined)

Duration: 2 - 3 minutes (estimated)

Date 15.07.2012
Magnitude / Dimension Preliminary findings indicate a path length of at least 2.5 km (1.5 miles) and a path width ranging from a few meters up to 200 m (600 ft). The caused damage points to a maximum intensity of T2/T3 (F1) on the TORRO (Fujita) Scale, which stands for wind speeds between 119 and 184 km/h.
Damage

(1) moderate to considerable damage to a roof and two upper floors of a 140 year old farm building
(2) approx. 2'000 young apple trees broken or knocked over
(3) one overthrown wall on a building shell
(4) light to moderate damage to hail net construction
(5) moderate losses to two roofs (cement asbestos and brick) (5) minor losses to five roofs (brick)
(6) one damaged shutter
(7) light to moderate damage to trees/bushes
(8) damage swath in two corn fields
(9) two blown away trampolines (50 kg)

Fatalities -
Injuries -
Eyewitnesses 2
Report Source Eyewitness reports, news report, report from fire brigade, data from insurance, information from various locals
Remarks Even though this event took place in a rural area, it is remarkable, that it was covered only by local media. It is the merit of systematic research conducted by the Swiss Severe Weather Database, that this tornado was not forgotten and now is part of the nationwide database.


Der Tornado vom 15. Juli 2012 in Oberkich (LU)

Anhand des meteorologischen Umfelds, dem Schadensbild, sowie der Beschreibung von zwei Augenzeugen, bestehen keine Zweifel daran, dass am 15. Juli 2012 spätnachmittags (irgendwann zwischen 16.30 Uhr und 17.30 Uhr MESZ) tatsächlich ein Tornado durch Oberkirch (LU) gezogen ist.

Der Tornado der Stärke F1 (T2/T3) wütete geschätzte zwei bis drei Minuten und hinterliess in dieser Zeit auf einer Länge von mindestens 2.5 Kilometern punktuelle Schäden an Kulturland, Plantagen, Bäumen, Büschen, Gebäuden und an einer Hagelnetzkonstruktion.

Gemäss jetzigen Erkenntnissen begann seine Zugbahn rund 1.5 km westlich des Dorfkerns von Oberkirch (LU), im Weiler Dogelzwil. In der Folge zog der Wirbelsturm in östliche Richtung, über den "Döselhof", die Krete hinab zum Golfpark, streifte die Siedlung Burg und traf schliesslich auf den Dorfkern von Oberkirch (LU), wo er seine volle Kraft entfalten konnte. Erst als er seinen Weg als Wasserhose im Sempachersee fortsetzte, begann er zu schwächeln und löste sich schliesslich auf.

Die verursachten Schäden in der bis zu 200 Meter breiten Schneise waren grösstenteils von schwacher bis mässiger Natur (T1/T2 auf der TORRO Skala). Zu Beginn der Spur schien der Tornado zu hüpfen und in seiner Stärke eher schwach ausgeprägt zu sein. Auf seinem Weg nach Osten Richtung Dorfkern gewann er allerdings an Stärke und Beständigkeit, was durch das weitere Schadensbild gestützt wird. So wurde der grösste Schaden im östlich des Dorfkerns gelegenen Brühlhof der Familie Zwimpfer festgestellt. Dort wurde ein Ökonomiegebäude sowie eine angrenzende Obstplantage schwer beschädigt. Diese Schäden deuten auf eine Intensität von T2/T3 auf der in Europa gebräuchlichen TORRO Skala hin, was einem Tornado der Stärke F1 entspricht, nimmt man die international bekanntere Fujita Skala zur Hand.

Das Phänomen wurde von mindestens zwei Augenzeugen aus nächster Nähe beobachtet.

Blick auf den Dorfkern - im Hintergrund das schwer beschädigte Ökonomiegebäude des "Zwimpfer Brühlhofes" (Blickrichtung Südost):


Foto 1 / © Manuel Arnold, Surseer Woche

Das schwer beschädigte Ökonomiegebäude des "Zwimpfer Brühlhofes":


Foto 2 / © Manuel Arnold, Surseer Woche

Zugbahn des Tornados

Auf folgender Karte ist die ungefähre Zugbahn des Tornados inkl. den registrierten Schäden eingezeichnet. Rote Punkte markieren Schäden an Gebäuden oder Gegenständen, wohingegen rote "Spray-Spuren" Schäden an der Vegetation, sowie im Fall der Markierung 18 auch an der Hagelnetzkonstruktion bedeuten.


Grafik 1 / © Christian Matthys / Karte: http://map.geo.admin.ch/

Legende:

(1)  Schadensschneise in einem Maisfeld - Breite beginnend mit ca. 1 Meter, endend mit ca. 6-8 Meter
(2) Weggewehtes Trampolin (50 kg) und Gartenstühle auf der Nordostseite der alten Käserei Oberkirch
(3) Schadensschneise in einem Maisfeld
(4) Abgebrochene Äste bei einer Gruppe von freistehenden Eichen auf dem Golfpark Oberkirch
(5) Abgebrochene Äste bei einer Baum-/Buschreihe (Nähe Green 18) auf dem Golfpark Oberkirch
(6) Abgebrochene Äste bei einer Baum-/Buschreihe (Nähe Parkplatz) beim Golfpark Oberkirch
(7) Beschädigter Storen an der Burgmatte 6/8
(8) Leichte Schäden am Ziegeldach der Burgstrasse 1
(9) Beschädigtes Dach (Loch) an der Bahnstrasse 12
(10) Leichte Schäden am Ziegeldach der Bahnstrasse 3
(11) Umgeworfene Wand eines Rohbaus am Hirschmatthof 2
(12) Leichte Schäden am Ziegeldach der Bahnstrasse 8
(13) Weggewehtes Trampolin (50 kg) bei der Dorfkäserei Oberkirch
(14) Schaden am Eternitdach eines Garagentraktes am Rankhof 1
(15) Abgebrochener Ast am Rankhof
(16) Leichte Schäden am Ziegeldach am Rankhof 8
(17) Grosser Schaden am Ökonomiegebäude des Brühlhofes (Eternitdach und 2 Stockwerke zerstört)
(18) Grosse Schäden an den Obstplantagen und Hagelnetzen des Brühlhofes
(19) Leichte Schäden am Ziegeldach der Bahnstrasse 1 (noch nicht eingezeichnet)

Anhand der eingezeichneten Schäden scheint sich der Tornado vom Weiler Dogelzwil (LU) aus zunächst in ostsüdöstliche Richtung fortbewegt zu haben. Bei Erreichen des Dorfs Oberkirch (LU) könnte er seine Richtung geringfügig nach links geändert haben (Zugrichtung West - Ost), bevor er in den See zog.

Augenzeugenbericht vom "Döselhof"

Lehrling Daniel Britschgi war gerade am Melken, als er durchs Scheunenfenster hindurch den Tornado vorbeiziehen sah. Der weissliche Schlauch sei - oben breiter wie unten - nicht bis zum Boden sichtbar gewesen. Er konnte beobachten, wie die Windhose eine schmale Schneise durch das nahegelegene Maisfeld schlug, ehe sie aus seinem Blickfeld verschwand. Kurze Zeit danach fing es an zu regnen.

Augenzeugenbericht vom "Zwimpfer Brühlhof"

Frau Zwimpfer machte folgende Beobachtung:

"Es hat stark geregnet und auch gewindet. Weil ein Stock auf dem Sitzplatz kippen wollte, bin ich herausgegangen und dabei habe ich auf den See geblickt und die Windhose gesehen. Die Windhose hat, wie im Film, Blätter und Wasser gezogen."

Einsätze der Feuerwehr Sursee in Zusammenhang mit dem Tornado

Screenshot Einsätze der Feuerwehr Sursee am 15.07.2012:


Grafik 2 / Quelle: http://www.frsursee.ch/einsaetze/2012/2012.php

Notreparatur an einem Hausdach der Bahnstrasse 12 (Fotos 2 und 3):


Foto 3 / © Feuerwehr Region Sursee / Quelle: Einsatz Bahnstrasse 12


Foto 4 / © Feuerwehr Region Sursee / Quelle: Einsatz Bahnstrasse 12

Das schwer beschädigte Ökonomiegebäude des "Zwimpfer Brühlhofes" kurz nachdem der Tornado durch das Dorf gezogen ist:


Foto 5 / © Feuerwehr Region Sursee / Quelle: Einsatz Bahnstrasse 12

Einsatzbericht Bahnstrasse 12:
http://www.frsursee.ch/einsaetze/2012/details.php?id=1529&no=72

Informationen der Gebäudeversicherung Luzern

Die Gebäudeversicherung Luzern registrierte in Zusammenhang mit dem Ereignis vom 15. Juli 2012 in Oberkirch (LU) insgesamt 8 Schadenfälle mit einer Gesamtschadensumme von beinahe 200'000 Schweizer Franken!

Mit Abstand der grösste Schaden erlitt das im Osten des Dorfkerns gelegene Ökonomiegebäude des Brühlhofes (siehe Fotos 5 bis 10). Weitere Schäden gab es rund 100 Meter westlich davon an den Wänden eines Rohbaus am Hirschmatthof 2, am Eternitdach eines Garagentraktes am Rankhof 1, an den Storen eines Wohnhauses an der Burgmatte 6/8, sowie an Ziegeldächern der Burgstrasse 1, der Bahnstrasse 8, der Bahnstrasse 12 und am Rankhof 8. Die Schäden an der Bahnstrasse 1 und 3 (siehe Einsatzbericht der Feuerwehr) wurden demnach nicht gemeldet. Es ist möglich, dass hier jeweils nur Ziegel verschoben wurden.

Folgende Bilder wurden uns freundlicherweise von der Gebäudeversicherung Luzern zur Verfügung gestellt und zeigen das Ausmass der Zerstörung am Ökonomiegebäude des "Zwimpfer Brühlhofes":


Foto 6 / © Bruno Bühlmann, Schadenexperte bei der Gebäudeversicherung Luzern (Bild in Originalgrösse)


Foto 7 / © Bruno Bühlmann, Schadenexperte bei der Gebäudeversicherung Luzern (Bild in Originalgrösse)


Foto 8 / © Bruno Bühlmann, Schadenexperte bei der Gebäudeversicherung Luzern (Bild in Originalgrösse)


Foto 9 / © Bruno Bühlmann, Schadenexperte bei der Gebäudeversicherung Luzern (Bild in Originalgrösse)


Foto 10 / © Bruno Bühlmann, Schadenexperte bei der Gebäudeversicherung Luzern (Bild in Originalgrösse)


Foto 11 / © Bruno Bühlmann, Schadenexperte bei der Gebäudeversicherung Luzern (Bild in Originalgrösse)

Beschreibung der Schäden auf dem "Zwimpfer Brühlhof"

Frau Zwimpfer beschreibt:
"Es hat ein 140 Jahre altes Ökonomiegebäude/Lagergebäude beschädigt, d.h. der unterste Teil (EG) blieb stehen, jedoch die 2 Stockwerke darüber mit Eternitdach und Seitenwänden hat es abgehoben und teilweise wieder auf diese Gebäude gelegt. Das Eternitdach hat es auf der Obstanlage teilweise in der Breite von 20 – 30 Meter verteilt. Das Eternit ist durch die Hagelnetze auf die Bäume gefallen und hat diese geköpft. Ebenso hat es weiter unten ca. 2'000 Bäume ausgewurzelt resp. umgekippt. Weiter hat es die Holzpfähle der Hagelnetzkonstruktion abgehoben und wieder hingestellt. Teilweise sind die Bäume nach links oder dann andere Reihen wieder nach rechts gelegen. Ca. 300 Meter weiter unten hat es Firstdraht welcher mit U-Schlaufen in den Pfahl geschlagen waren auf die Seite gelegt. Bei dieser Parzelle unten, vor einer Naturhecke mit Eichenbäumen, waren Bäume geknickt bzw. gekippt nach links oder rechts."

Bericht in der Surseer Woche

Ein Bericht über das Ereignis ist am 19. Juli 2012 in der Surseer Woche (Ausgabe Nummer 29 => siehe Aufmacher Frontseite und Artikel Seite 19) erschienen und markierte den Startpunkt einer umfangreichen Recherche, welche dieser Ereignisseite zu Grunde liegt.


Screenshot 1 / Aufmacher Frontseite am 19. Juli 2012 in der Surseer Woche


Screenshot 2 / Artikel vom 19. Juli 2012 in der Surseer Woche

Am 28. März 2013 erschien überdies ein Artikel (Permalink) über die vom Sturmarchiv Schweiz durchgeführte Recherche in Zusammenhang mit dem Tornado von Oberkirch.


Screenshot 3 / Artikel vom 28. März 2013 in der Surseer Woche

Meteorologische Situation

Wetterberichte:

Bericht von SF Meteo

Radarbilder und Interpretation:

Folgendes Radarbild zeigt im Überblick die Situation um 17.10 Uhr MESZ. Zu erkennen ist ein Verbund von mehreren Schauer-/Gewitterzellen über der Region Sursee (LU).

Grafik 3 / © Meteoradar (Daten: MeteoSchweiz)

Folgenden vergrösserten Ausschnitt der Radarbildanimation von Meteoradar zeigt, wie kurz vor 17 Uhr MESZ eine Schauerzelle von Huttwil (BE) Richtung Sursee (LU) zieht und sich dort gegen 17.20 Uhr MESZ mit einem von Langenthal (BE) her kommenden schwachen Gewitter vereint. Solche Zellzusammenschlüsse gehen in der Regel mit einer mehr oder weniger chaotischen Modifikation des lokalen Bodenwindfeldes einher. Gewitteraufwinde und bodennahe Windscherung (Änderung der Windrichtung und/oder -geschwindigkeit) können unter Umständen verstärkt werden und damit einen positiven Effekt auf allenfalls vorhandene Rotation ausüben. Ob dies auch bei der Bildung des Tornados von Oberkirch (LU) eine Rolle spielte, kann nicht abschliessend beurteilt werden. Dazu fehlen hochauflösende Wetterdaten, welche ein solches Szenario untermauern resp. im gegengesetzten Fall entkräften würden.


Grafik 7 / © Meteoradar (Daten: MeteoSchweiz)

Tornados über Land entstehen meist unterhalb einer Superzelle, also einer beständig rotierenden Gewitterzelle. In obiger Bildsequenz sind allerdings keine eindeutigen Merkmale einer solchen erkennbar, wobei dies nicht heissen muss, dass die den Tornado verursachende Schauer-/Gewitterzelle keine organisierte Rotation aufwies. Immerhin fällt auf, dass die "Langenthaler Zelle" etwas nach rechts ausschert, was auf Rotation hinweisen würde. Sie bewegt sich entgegen der allgemeinen Zugrichtung der Zellen (WSW - ENE) nämlich eher von West nach Ost, bevor sie knapp westlich des Sempachersees auf die von Südwesten aufziehende "Huttwiler Zelle" stösst. Eine solche Rotation könnte kurz vor besagtem Zellzusammenschluss dank erhöhter Helizität und sich intensivierendem Aufwind verstärkt worden sein. Dass sich die Zellvereinigung eher fördernd auswirkte, belegt die steigende Blitzrate östlich des Sempachersees (siehe rote Punkte).

Tornadoverdacht im jurassischen Saignelégier:
Auch im jurassischen Saignelégier könnte sich am späten Nachmittag des 15. Juli 2012 ein Tornado entwickelt haben (siehe Sturmarchiv-Eintrag Tornadoverdacht Saignelégier). Allerdings sind von diesem nicht gesicherten Fall keine Schäden bekannt. Lediglich Fotos einer gemachten Beobachtung existieren, welche aber nicht eindeutig erkennen lassen, ob es sich beim Abgebildeten tatsächlich um einen echten Tornado oder nur um eine ähnlich aussehende Wolke handelt.

Diskussionen im Sturmforum Schweiz

Schauer und Gewitter 15.07.2012

Danksagung & Aufruf

Wertvolle Informationen und/oder aussagekräftige Bilder zum vorliegenden Fall haben wir unter anderem von folgenden Stellen oder Personen erhalten:

Feuerwehr Sursee, Gebäudeversicherung Luzern, Golfpark Oberkirch, Surseer Woche, Meteoradar, Meteomedia, sowie von zahlreichen Direktbetroffenen.

Herzlichen Dank an dieser Stelle für die tolle Unterstützung!

Aufruf:
Haben Sie wichtige Informationen oder Bilder zu diesem Tornadoereignis und möchten damit einen Beitrag zu dieser Informationsseite leisten, so würden wir uns über eine Meldung per Email an freuen.

Nicht zuletzt was den genauen Zeitpunkt des Ereignisses betrifft, erhoffen wir uns weitere Hinweise aus der Bevölkerung.

Interna

SSWD Main Editor Severestorms Last Edit 15.04.2014 Last Review - Documentation State Reviewed