20150607 01 Tornado Brot-Plamboz NE: Unterschied zwischen den Versionen

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==Meteorologische Ereignisanalyse==
==Meteorologische Ereignisanalyse==
Synoptische Übersicht für den 7. Juni 2015 (Mittagszeit):<br/>
Grossräumige Wetterlage am 7. Juni 2015 um die Mittagszeit:<br/>


[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Wetterkarte_DWD.gif|mini|left|upright=3.0|Abb. 1 - Quelle: [http://www.geo.fu-berlin.de/met FU Berlin/DWD]]]<br style="clear:both" />
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Am 7. Juni 2015 verlief die langgestreckte Kaltfront des Tiefs "Lothar" über Süddeutschland hinweg bis nach Frankreich. Die Front war nicht besonders wetteraktiv, allerdings lagerte südlich von ihr (über unseren Köpfen) eine feuchtwarme und zu Gewittern neigende Luftmasse, welche vorerst aber noch gedeckelt war. Eine solche Wetterlage, bei welcher konvektiver Entwicklungen weitestgehend in Schach gehalten werden, nennt man eine "Loaded Gun Situation". In der Payerne-Sondierung von 12Z (also weniger als zwei Stunden vor dem Touchdown) ist dieses Setting gut ersichtlich:<br/><br/>
Am 7. Juni 2015 verlief die langgestreckte Kaltfront des Tiefs "Lothar" über Süddeutschland hinweg bis nach Frankreich. Die Front war nicht besonders wetteraktiv, allerdings lagerte südlich von ihr (also über unseren Köpfen) eine feuchtwarme und zu Gewittern neigende Luftmasse, welche vorerst aber noch gedeckelt war. Eine solche Wetterlage, bei welcher konvektiver Entwicklungen weitestgehend in Schach gehalten werden, nennt man eine "Loaded Gun Situation". Sie ist besonders dafür bekannt, heftige bis unwetterartige Gewitter hervorzurufen. In der aerologischen Sondierung von Payerne (VD) (zum 12Z Termin) ist dieses Setting gut ersichtlich:<br/><br/>


[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Payerne12Z.gif|mini|left|upright=3.0|Abb. 2 - Quelle: [http://weather.uwyo.edu/upperair/sounding.html Atmospheric Soundings]]]<br style="clear:both" />
[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Payerne12Z.gif|mini|left|upright=3.0|Abb. 2 - Quelle: [http://weather.uwyo.edu/upperair/sounding.html Atmospheric Soundings]]]<br style="clear:both" />


Ein paar abgeleitete Werte aus dem Sondenaufstieg:<br/>
Ein paar berechnete Werte aus dem Sondenaufstieg:<br/>


* Lifted Index um - 4° (= mässig labil)<br/>
* Lifted Index um - 4° (= mässig labil)<br/>
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* CINH von 54 J/kg (= leicht gedeckelt)<br/><br/>
* CINH von 54 J/kg (= leicht gedeckelt)<br/><br/>


In dieser gewitterträchtigen Luft entwickelten sich um die Mittagszeit im französischen Hochjura orographisch unterstützt die ersten Gewitter des Tages. Die einzelnen Zellen bildeten rasch eine Kette, welche rund zwei Stunden lang aktiv und quasistationär blieb. Gegen 14 Uhr MESZ begann das System schliesslich zu schwächeln, während sich die Gewitterzelle an deren Nordende plötzlich verstärkte und in Gang setzte. Nachdem es gleich zu Anfang seines Weges in Pontarlier (F) Hagelsteine mit 5 cm Durchmesser ablud, zog das Gewitter beinahe 90° Grad abweichend zur Höhenströmung Richtung Neuchâtel. Dieses nach rechts Ausscheren ist (zusammen mit dem beobachteten Hagel) ein starkes Indiz dafür, dass sich die Zelle um ihre eigene Achse drehte und somit superzellular war.<br/><br/>
In dieser gewitterträchtigen Luft entwickelten sich um die Mittagszeit im französischen Hochjura orographisch unterstützt die ersten Gewitter des Tages. Die einzelnen Zellen bildeten rasch eine Kette, welche rund zwei Stunden lang aktiv und quasistationär blieb. Gegen 14 Uhr MESZ begann das System insgesamt zu schwächeln, während sich die Gewitterzelle an dessen Nordende plötzlich verstärkte und in Gang setzte. Nachdem es gleich zu Beginn weg über dem französischen Pontarlier Hagelsteine mit einem Durchmesser von 5 cm ablud, zog das Gewitter im Vergleich zur Höhenströmung mit beinahe 90° Abweichung Richtung Neuenburg (NE). Dieses nach rechts Ausscheren ist zusammen mit dem beobachteten Hagel ein starkes Indiz dafür, dass sich die Zelle um ihre eigene Achse drehte und somit superzellular war.<br/><br/>


Auf der Blitzkarte (Abb. 3) wie auch auf der Karte mit den durch das Wetterradar gemessenen Niederschlägen (Abb. 4) ist das Ausscheren gut zu erkennen:<br/>
Auf der Blitzkarte (Abb. 3) wie auch auf der Karte mit den durch das Wetterradar aufgezeichneten Niederschlägen (Abb. 4) ist das Ausscheren gut zu erkennen:<br/>


[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Blitze.png|mini|left|upright=3.0|Abb. 3 - Quelle: [http://www.lightningmaps.org Lightningmaps.org]]]<br style="clear:both" />
[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Blitze.png|mini|left|upright=3.0|Abb. 3 - Quelle: [http://www.lightningmaps.org Lightningmaps.org]]]<br style="clear:both" />
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[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Precip.jpg|mini|left|upright=3.0|Abb. 4 - Quelle: [http://www.meteosuisse.admin.ch/ MeteoSuisse]]]<br style="clear:both" />
[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Precip.jpg|mini|left|upright=3.0|Abb. 4 - Quelle: [http://www.meteosuisse.admin.ch/ MeteoSuisse]]]<br style="clear:both" />


Vermutlich aufgrund unauffälliger Geschwindigkeitsscherung an jenem Tag (~ 20 Knoten auf 500 hpa, ~ 10 Knoten auf 300 hpa), war das Augenmerk primär nicht auf rotierende Gewitterzellen gerichtet und so überraschte die Entwicklung der Superzelle im Hochjura wohl manch einen. Schaut man sich aber die Atmosphäre im Detail an, so ist die erfolgte Entwicklung nicht weiter verwunderlich. Die Sondierung von Payerne 12Z liefert einmal mehr wichtige Erkenntnisse. Die Geschwindigkeitsscherung war in der Tat nicht typisch für Superzellen. Aber die Richtungsscherung in den bodennahen Schichten war bemerkenswert. Der Wind drehte von Nord (auf 950 hpa), über Nordost und Ost, weiter auf Südost und schliesslich auf Süd (auf 700 hpa). Dieses sogenannte "Veering" (rechtsdrehender Wind) von beinahe 180° ist nebst dem Effekt der Warmluftadvektion auch eine wichtige Voraussetzung für starke, sich drehende Aufwinde. Aus der Theorie wissen wir zudem, dass Superzellen am ehesten dann einen Tornado produzieren, wenn ein starker Low Level Jet (LLJ) weht. Je tiefer dessen Position ist, also je näher zum Boden, umso besser. In der Schweiz hat er sein Maximum in der Regel auf 700 hpa. Der in Payerne gestartete Wetterballon flog jedoch bereits auf einer Höhe von 950 hpa in dieses Windmaximum.<br/>
Vermutlich aufgrund unauffälliger Geschwindigkeitsscherung an jenem Tag (~ 20 Knoten auf 500 hpa, ~ 10 Knoten auf 300 hpa), war das Augenmerk primär nicht auf rotierende Gewitterzellen gerichtet und so überraschte die Entwicklung der Superzelle im Hochjura wohl manch einen. Schaut man aber etwas genauer hin, so ist die erfolgte Entwicklung nicht weiter verwunderlich.<br/>
 
Die Mittags-Sondierung von Payerne liefert einmal mehr wichtige Erkenntnisse. In der Tat war die Geschwindigkeitsscherung an jenem Sonntag alles andere als Superzellen-typisch. Die Richtungsscherung in den bodennahen Schichten hingegen war bemerkenswert. Auf 950 hpa beginnend drehte der Wind von Nord, über Nordost und Ost, weiter auf Südost und schliesslich auf 700 hpa auf Süd. Dieses sogenannte "Veering" (rechtsdrehender Wind) von beinahe 180° ist nebst dem Effekt der Warmluftadvektion auch eine wichtige Voraussetzung für starke, sich drehende Aufwinde. Aus der Theorie wissen wir zudem, dass Superzellen am ehesten dann einen Tornado produzieren, wenn ein starker Low Level Jet (LLJ) weht. Je tiefer dessen Position ist, also je näher zum Boden, umso besser. In der Schweiz hat er sein Maximum in der Regel auf 700 hpa. Der in Payerne gestartete Wetterballon flog jedoch bereits auf einer Höhe von 950 hpa in dieses Windmaximum.<br/>
 
Es ist kein Geheimnis, dass die hügelige Landschaft der Jurakette einen entscheidenden Einfluss auf die Windströmungen in Bodennähe (0 - 1 km) hat und der sogenannte Low Level Jet beim Umströmen bzw. Überströmen der Hügel lokal Scherungen verstärken oder abschwächen kann. Die für die Wirbelhaftigkeit im Inflowbereich stehende Storm Relative Helicity (SRH) zeigte in der Sondierung von Payerne zwar einen relativ tiefen, unauffälligen Wert. Aber wir können davon ausgehen, dass die Helizität aufgrund der angesprochenen Umstände im "Vallée de la Sagne" lokal modifiziert um nicht zu sagen erhöht gewesen sein dürfte.<br/>
 
Der Jura hat aber nicht nur den Vorteil, dass er die Winde für die Wirbelbildung günstig beeinflussen kann, sondern auch, dass die Wolkenbasis generell tiefer liegt. Das in der Sondierung gemessene LCL von ca. 1600 m dürfte daher für unseren Tornado-Fall nicht repräsentativ sein.<br/>


[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Payerne12Z_2.png|frameless|upright=4.0]]<br/>
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Abb. 5 - © Sturmarchiv Schweiz / Meteoschweiz<br/><br/>
Abb. 5 - © Sturmarchiv Schweiz / Meteoschweiz<br/><br/>


Wie folgt zwei gebräuchliche Superzellenparameter, welche aufgrund der Werte anschlugen:<br/>
Wie folgt drei Superzellenparameter, welche aufgrund der Werte anschlugen:<br/>


* Supercell Composite Parameter (SCP) von 3.4 (= Superzellen möglich bis wahrscheinlich)<br/>
* Supercell Composite Parameter (SCP) von 3.4 (= Superzellen möglich bis wahrscheinlich)<br/>
* Experimental Supercell Index CH (SIS) von 2.85 (= Superzellen werden erwartet)<br/>
* von Bernhard Oker ins Leben gerufener Experimental Supercell Index for Switzerland (SIS) von 2.85 (= Superzellen sehr wahrscheinlich)<br/>
* Bulk Richardson Number (BRN) zwischen 35 und 40 (= Bedingungen günstig für Superzellen)<br/><br/>
* Bulk Richardson Number (BRN) zwischen 35 und 40 (= Bedingungen günstig für Superzellen)<br/><br/>
Es ist kein Geheimnis, dass die hügelige Landschaft der Jurakette einen entscheidenden Einfluss auf die Windströmungen in Bodennähe (0 - 1 km) hat und der Low Level Jet beim Umströmen bzw. Überströmen der Hügel lokal Scherungen verstärken oder abschwächen kann. Die für die Wirbelhaftigkeit im Inflowbereich stehende Storm Relative Helicity (SRH) zeigte in der Sondierung zwar einen relativ tiefen, unauffälligen Wert. Aber genau eben diese Helizität könnte aufgrund der angesprochenen Umstände im "Vallée de la Sagne" lokal modifiziert bzw. erhöht gewesen sein.<br/>
Auch die Wolkenbasis war im Hochjura vermutlich tiefer als über Payerne, sodass die Messung des Sondenaufstiegs (LCL von ca. 1600 m) nur bedingt repräsentativ sein dürfte.<br/>


[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Payerne12Z_3.gif|thumb|left|Abb. 6 - © Bernhard Oker]]<br style="clear:both" />
[[File:20150607_01_Tornado_Brot-Plamboz_NE_Payerne12Z_3.gif|thumb|left|Abb. 6 - © Bernhard Oker]]<br style="clear:both" />

Version vom 25. Juni 2015, 16:03 Uhr

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Tags:
tornade, tornado, trombe, tromba, tourbillon, tuba, funnelcloud, ouragan, windhose, wirbelwind, Brot-Plamboz, Brot-Dessus, Les Ponts-de-Martel, Les Petits-Ponts, Vallée de la Sagne, Jura, Neuchâtel

Quick Facts

Type of Event Tornado (type "Needle")
Verification State QC1
ESWD Not reported
Location Near Brot-Dessus, in the municipality of Brot-Plamboz (NE)
Time Between 13.40 - 13.45 UTC
Duration Touchdown lasted only seconds to minutes
Date 07.06.2015
Path direction Mainly West to East
Path length / width Length: 0.5 - 1.5 km (estimation) / width: 10 m at some point (estimation from eyewitness report)
Magnitude T1 / F0
Damage
  • Roof damage (T1 / F0)
  • Minor crop damage (not rated)
Fatalities -
Injuries -
Eyewitnesses At least three different eyewitness parties were able to observe the tornado as it touched the ground (two of them shot videos, see below)
Report Source News reports, photos/videos of the incident, eyewitness report
Remarks Two videos of this event are very unique as they represent the first and only known moving pictures of a tornado touching down in Switzerland (waterspouts excluded)!

Einleitung

Animierte Sequenz aus einem Video von Youtube User "Perce-Neige SPS"


Eine Superzelle zog am Nachmittag des 7. Juni 2015 vom französischen Pontarlier her kommend durch das "Vallée de la Sagne" in Richtung Neuenburg und produzierte auf ihrem Weg dorthin gegen 15.40 Uhr MESZ einen kurzlebigen, schwachen Tornado (T1 / F0), welcher das Dach eines Bauernhauses bei Brot-Plamboz (NE) beschädigte.

Der Ort des Geschehens liegt im Neuenburger Hochjura:

© search.ch, TomTom, swisstopo, osm


Genauer gesagt im "Vallée de la Sagne", auch bekannt unter dem Namen "Vallée des Ponts":

© search.ch, TomTom, swisstopo, osm


Das spektakuläre Naturschauspiel konnte nicht nur fotografiert, sondern gar gefilmt werden. Zwei der Videodokumente sind eine kleine Sensation und dürfen als historisch betrachtet werden. Sie zeigen erstmalig (und bis jetzt einmalig) den Touchdown eines Tornados in der Schweiz (Wasserhosen ausgenommen). Damit wurde am 7. Juni 2015 ein Stück Schweizer Tornado-Geschichte geschrieben!

Fotos

In diesem Kapitel haben wir alle uns bekannten Bilder des Tornados zusammengetragen.

An erster Stelle möchten wir zwei Video-Standbilder zeigen, auf welchen die Bodenberührung des Tornados zu erkennen ist. Ein Novum für die Schweiz!

© Lydia Du Buisson


© Youtube User "Perce-Neige SPS"


Die zugehörigen Videos können im Kapitel "Videos" abgerufen werden.

Zahlreiche Augenzeugen liefern weitere Bilder des Tornadorüssels.

So zum Beispiel Xavier Dumont, welcher um 15.41 Uhr MESZ von La Sagne (NE) aus folgenden Schnappschuss festhalten konnte:

© Xavier Dumont / Quelle: Arcinfo.ch


Gegenüber dem Westschweizer Medienportal Arcinfo.ch erklärt der Fotograf:

"Ça n'a duré qu'une minute", a confié Xavier Dumont, l'auteur du cliché, pris à La Sagne cet après-midi. La tornade n'a pas occasionné de dégâts "mais c'était spectaculaire. Je n'avais encore jamais vu ça dans la vallée où j'habite depuis l'enfance", a t-il confié.

Anmerkung der Redaktion: Der Tornado hat in der Tat Schäden verursacht, siehe Kapitel "Schauplatz / Schäden".

Ebenfalls von La Sagne (NE) aus machte Christine Benoit Gyger um 15.42 Uhr MESZ folgende drei Bilder:

© Christine Benoit Gyger / Quelle: Facebook


© Christine Benoit Gyger / Quelle: Facebook


© Christine Benoit Gyger / Quelle: Facebook


Ein Leserreporter von RTN hat den Wolkenschlauch vom erhöhten Sommartel (La Sagne, NE) aus fotografiert:

© Leserreporter von RTN


Auch ein Leserreporter von 20 Minutes drückte zum richtigen Zeitpunkt auf den Auslöser:

© Leserreporter von 20 minutes


Angela Cassi gelangen folgende zwei Bilder:

© Angela Cassi / Quelle: RSI


Datei:20150607 01 Tornado Brot-Plamboz NE Cassi2.jpg
© Angela Cassi / Quelle: MétéoFoudre


Sturmjäger Nicolas Gascard erwischte den Tornado bzw. seine Funnelcloud ebenfalls:

© Nicolas Gascard / Quelle: Facebook


Selbst die Roundshot-Kamera auf dem Tête de Ran konnte den Tornado einfangen:

Quelle: Roundshot Tête de Ran



Videos

Wie bereits eingangs dieser Ereignisseite erwähnt, sind nachfolgende Videodokumente (Video #1 und #2) historischer Natur. Sie zeigen erstmalig (und bis jetzt einmalig) den Touchdown eines Tornados in der Schweiz (Wasserhosen ausgenommen).

Video #1 von Lydia Du Buisson:

Video #2 von Youtube User "Perce-Neige SPS" (leider ohne Ton):



Zwei weitere Videos zeigen den Tornado bzw. dessen Funnelcloud ohne sichtbare Bodenberührung.

Das erste wurde auf Arcinfo.ch publiziert (Achtung, das Datum in der Youtube-Beschreibung ist nicht korrekt wiedergegeben!):



Das zweite wurde von Stéphane Botteron aufgenommen:


Video-Link Facebook (gleiches Video)

Schauplatz / Schäden

Der Ort des Geschehens liegt in einem SW => NE ausgerichteten flachen Tal im Hochjura ("Vallée de La Sagne" / "Vallée des Ponts").

Die folgende Sicht aus der Vogelperspektive zeigt den Schauplatz (Blickrichtung NNE). Anhand bisheriger Erkenntnisse (u.a. aufgrund der Aussage eines Augenzeugen) berührte der Tornado erstmals den Boden etwa in der Mitte des Tales, im Bereich bzw. knapp südlich von "Les Bieds" und zog anschliessend Richtung Osten, beschädigte das Dach eines an der Hauptstrasse nach Les Petits-Ponts (NE) gelegenen Bauernhofes und löste sich schliesslich nach gerade mal einer geschätzten Minute Lebenszeit in der Nähe des Waldes östlich von Brot-Plamboz (NE) wieder auf.

© SWISSVIEW


Untenstehender Bildvergleich (Webcam-Bild vs. Video eines Augenzeugen) bestätigt die Aussagen des Augenzeugen, wonach der Tornado bei "Les Bieds" Bodenkontakt hatte:

Quellen: Webcam von Les Ponts-de-Martel / Youtube Video


Die kurze Zugbahn des Wirbelsturms (1 km +/- 500 m) lag mehrheitlich weder auf bewohntem noch auf bewaldetem Gebiet. Der einzige bekannte nennenswerte Schaden wurde am Dach eines Bauernhofes verursacht. Erkenntnisse aus den verfügbaren Videos und Zeugenaussagen lassen vermuten, dass sich der Tornado bereits wieder im Auflösestadium befand, als er den Bauernbetrieb erreichte.

Das betroffene Gebäude liegt zwischen den Ortschaften Brot-Dessus (NE) und Les Petits-Ponts (NE):

© Google


Das Dach vorher..

© Google Street View


..und nachher:

© Ralph Grobe


Schadensvideo von Ralph Grobe:


Ein weiteres Schadensvideo findet sich auf Facebook (ebenfalls von Ralph Grobe):
https://www.facebook.com/ralph.grobe.9/videos/1641073776137589/?hc_location=ufi

Hier eine fiktive Sicht auf den Tornado, kurz bevor er über das Bauernhaus hinweg fegte:

© Sturmarchiv Schweiz / Google



Meteorologische Ereignisanalyse

Grossräumige Wetterlage am 7. Juni 2015 um die Mittagszeit:

Abb. 1 - Quelle: FU Berlin/DWD


Am 7. Juni 2015 verlief die langgestreckte Kaltfront des Tiefs "Lothar" über Süddeutschland hinweg bis nach Frankreich. Die Front war nicht besonders wetteraktiv, allerdings lagerte südlich von ihr (also über unseren Köpfen) eine feuchtwarme und zu Gewittern neigende Luftmasse, welche vorerst aber noch gedeckelt war. Eine solche Wetterlage, bei welcher konvektiver Entwicklungen weitestgehend in Schach gehalten werden, nennt man eine "Loaded Gun Situation". Sie ist besonders dafür bekannt, heftige bis unwetterartige Gewitter hervorzurufen. In der aerologischen Sondierung von Payerne (VD) (zum 12Z Termin) ist dieses Setting gut ersichtlich:

Abb. 2 - Quelle: Atmospheric Soundings


Ein paar berechnete Werte aus dem Sondenaufstieg:

  • Lifted Index um - 4° (= mässig labil)
  • CAPE von > 1200 J/kg (= feuchtwarm)
  • CINH von 54 J/kg (= leicht gedeckelt)

In dieser gewitterträchtigen Luft entwickelten sich um die Mittagszeit im französischen Hochjura orographisch unterstützt die ersten Gewitter des Tages. Die einzelnen Zellen bildeten rasch eine Kette, welche rund zwei Stunden lang aktiv und quasistationär blieb. Gegen 14 Uhr MESZ begann das System insgesamt zu schwächeln, während sich die Gewitterzelle an dessen Nordende plötzlich verstärkte und in Gang setzte. Nachdem es gleich zu Beginn weg über dem französischen Pontarlier Hagelsteine mit einem Durchmesser von 5 cm ablud, zog das Gewitter im Vergleich zur Höhenströmung mit beinahe 90° Abweichung Richtung Neuenburg (NE). Dieses nach rechts Ausscheren ist zusammen mit dem beobachteten Hagel ein starkes Indiz dafür, dass sich die Zelle um ihre eigene Achse drehte und somit superzellular war.

Auf der Blitzkarte (Abb. 3) wie auch auf der Karte mit den durch das Wetterradar aufgezeichneten Niederschlägen (Abb. 4) ist das Ausscheren gut zu erkennen:

Abb. 3 - Quelle: Lightningmaps.org


Abb. 4 - Quelle: MeteoSuisse


Vermutlich aufgrund unauffälliger Geschwindigkeitsscherung an jenem Tag (~ 20 Knoten auf 500 hpa, ~ 10 Knoten auf 300 hpa), war das Augenmerk primär nicht auf rotierende Gewitterzellen gerichtet und so überraschte die Entwicklung der Superzelle im Hochjura wohl manch einen. Schaut man aber etwas genauer hin, so ist die erfolgte Entwicklung nicht weiter verwunderlich.

Die Mittags-Sondierung von Payerne liefert einmal mehr wichtige Erkenntnisse. In der Tat war die Geschwindigkeitsscherung an jenem Sonntag alles andere als Superzellen-typisch. Die Richtungsscherung in den bodennahen Schichten hingegen war bemerkenswert. Auf 950 hpa beginnend drehte der Wind von Nord, über Nordost und Ost, weiter auf Südost und schliesslich auf 700 hpa auf Süd. Dieses sogenannte "Veering" (rechtsdrehender Wind) von beinahe 180° ist nebst dem Effekt der Warmluftadvektion auch eine wichtige Voraussetzung für starke, sich drehende Aufwinde. Aus der Theorie wissen wir zudem, dass Superzellen am ehesten dann einen Tornado produzieren, wenn ein starker Low Level Jet (LLJ) weht. Je tiefer dessen Position ist, also je näher zum Boden, umso besser. In der Schweiz hat er sein Maximum in der Regel auf 700 hpa. Der in Payerne gestartete Wetterballon flog jedoch bereits auf einer Höhe von 950 hpa in dieses Windmaximum.

Es ist kein Geheimnis, dass die hügelige Landschaft der Jurakette einen entscheidenden Einfluss auf die Windströmungen in Bodennähe (0 - 1 km) hat und der sogenannte Low Level Jet beim Umströmen bzw. Überströmen der Hügel lokal Scherungen verstärken oder abschwächen kann. Die für die Wirbelhaftigkeit im Inflowbereich stehende Storm Relative Helicity (SRH) zeigte in der Sondierung von Payerne zwar einen relativ tiefen, unauffälligen Wert. Aber wir können davon ausgehen, dass die Helizität aufgrund der angesprochenen Umstände im "Vallée de la Sagne" lokal modifiziert um nicht zu sagen erhöht gewesen sein dürfte.

Der Jura hat aber nicht nur den Vorteil, dass er die Winde für die Wirbelbildung günstig beeinflussen kann, sondern auch, dass die Wolkenbasis generell tiefer liegt. Das in der Sondierung gemessene LCL von ca. 1600 m dürfte daher für unseren Tornado-Fall nicht repräsentativ sein.


Abb. 5 - © Sturmarchiv Schweiz / Meteoschweiz

Wie folgt drei Superzellenparameter, welche aufgrund der Werte anschlugen:

  • Supercell Composite Parameter (SCP) von 3.4 (= Superzellen möglich bis wahrscheinlich)
  • von Bernhard Oker ins Leben gerufener Experimental Supercell Index for Switzerland (SIS) von 2.85 (= Superzellen sehr wahrscheinlich)
  • Bulk Richardson Number (BRN) zwischen 35 und 40 (= Bedingungen günstig für Superzellen)

Abb. 6 - © Bernhard Oker


Legen wir nun den Fokus auf die Zeit zwischen 15.30 Uhr und 16.00 Uhr MESZ. Nachfolgende Radarbilder sind Aufzeichnungen zum ungefähren Zeitpunkt des Tornados (die Stelle des Touchdowns ist mittels Kreis markiert).

15.40 Uhr MESZ:

Abb. 7 - © Donnerradar Archiv


15.45 Uhr MESZ:

Abb. 8 - © Donnerradar Archiv


Auf beiden Radarbildern ist zu erkennen, dass die für den Tornado verantwortliche Gewitterzelle an ihrem Südostrand eine scharf abgegrenzte Niederschlagssignatur in Form einer Sichel (sog. Inflow Notch) aufweist.

Abb. 9 - © Donnerradar Archiv


Noch deutlicher ist dieser Inflow Notch bzw. das zugehörige Hakenecho auf dem Radarbild von Kachelmannwetter.com ersichtlich (Zeitpunkt: 15.45 Uhr MESZ, Stern markiert den zeitgleichen Tornado-Touchdown):

Abb. 10 - © Kachelmannwetter.com


Dies deutet auf eine vorhandene Low Level Rotation unter Einbezug des sogenannten Rear Flank Downdrafts (RFD) hin. Eine solche ist für die Entwicklung eines Tornados von grosser Bedeutung. Folgende Grafik veranschaulicht die Position des RFD, welche durch den Niederschlag im Hintergrund sichtbar wird. Dieser im Radarbild als Haken sichtbare Abwind reisst die Low Level Rotation unterhalb der Mesozyklone auf Bodennähe hinunter und initiiert damit die Geburt des Tornadovortexes.

Abb. 11 - © Sturmarchiv Schweiz (Videostandbild © Youtube User "Perce-Neige SPS")


Hier zum direkten Vergleich nochmal das zugrunde liegende Standbild aus dem Video:

© Youtube User "Perce-Neige SPS"


Ergänzend die Niederschlagsreflektivität überlagert mit den Blitzeinschlägen um 15.45 Uhr MESZ:

Datei:20150607 01 Tornado Brot-Plamboz NE Blitze 1345UTC.png
Abb. 12 - © Kachelmannwetter.com


Eine Webcam in Ponts-de-Martel (NE) war genau auf den interessanten Talabschnitt ausgerichtet. Leider wurden die Bilder aufgrund der Lichtverhältnisse just zum Zeitpunkt des Tornados überbelichtet. Dennoch möchten wir euch eine Animation der Bilder nicht vorenthalten, weil sie die Wolkendynamik kurz vor der Tornadogenese zeigen:

Klicken Sie auf diesen Link oder auf das Bild um zur Animation zu gelangen


Zum Abschluss der Analyse noch die Radarbildanimation jenes Tages, welche anschaulich die Geburt und das Pulsieren der ersten Gewitterzellen, die Bildung der Superzelle, beziehungsweise das nach rechts Ausscheren derselbigen dokumentiert. Die Sequenz dauert über den gesamten Tag, wobei der zum Teil chaotische, aber hochinteressante Verlauf der Gewitter nachvollzogen werden kann (Starten der Animation durch Klick auf das Vorschaubild):

Abb. 13 - Quelle: Donnerradar 3D


Berichterstattung in den Medien

Folgende Medienirrtümer gilt es zu beachten:

  • In einem Artikel von Arcinfo.ch ist von mehreren Tornados die Rede. Als Grund dafür wird ein Leserreporter zitiert, wonach die Uhrzeiten von verschiedenen Sichtungen nicht übereinstimmen würden. Diese Information konnte nicht verifiziert werden. Die im Artikel erwähnte Uhrzeit von 17.42 Uhr MESZ ist höchstwahrscheinlich auf eine Verwechslung von UTC und MESZ zurückzuführen. Die richtige Uhrzeit lautet 15.42 Uhr MESZ (bzw. 13.42 Uhr UTC).
  • Im selben Artikel wird der Augenzeuge zitiert, dass es keine Schäden gegeben hätte. Dies ist eindeutig falsch.
  • In der Beschreibung des einen Youtube-Videos steht, dass das Video am Sonntag, 9. Juni gegen 17.40 Uhr MESZ aufgenommen worden sei. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Fehlinformation. Erstens ist das Datum offensichtlich falsch und zweitens bezieht sich die Angabe der Uhrzeit auf den oben erwähnten Artikel auf Arcinfo.ch, in welchem die Uhrzeiten durcheinander gebracht wurden.
  • "Mini-Tornados" gibt es nicht. Ein Tornado hier in der Schweiz ist aus demselben Holz geschnitzt wie ein Tornado in den USA! Auch sind Tornados hierzulande nicht generell schwächer. "Mini-Tornados" sind eine Erfindung der Medien.

Diskussion im Schweizer Sturmforum

Aufruf / Appel à témoin

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