19351028 01 Flood Zentralschweiz: Unterschied zwischen den Versionen

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==Analyse von M. Grütter==
==Analyse von M. Grütter==
'''Am 9. September 1934 gingen über dem zentral- und nordostschweizerischen Voralpengebiet außerordentlich starke Gewitterregen nieder.<br/>
Am 27.,28. und 29. Oktober 1935 fielen besonders auf der Nordabdachung der Alpen große Niederschläge.<br/>
'''Der Kern des Niederschlagsgebiets liegt in der Gegend des Rigi- und des Roßbergmassivs, wo mehr als 180 mm auf folgenden Stationen gemessen wurden: Rigi-Kulm 206 mm, Walchwil 181, Unterägeri 181, Morgarten 185.'''<br/>
Die Tagesmengen erreichten am 28. eine abnorme Höhe, so daß in verschiedenen Alpentälern Hochwasser eintrat.<br/>
Die Verteilung der Niederschläge ist an allen drei Tagen ähnlich. Hauptniederschlagszone ist das Alpengebiet nördlich der Rhone und des Rheins.<br/>
Dagegen erhielt die Südabdachung nur geringe Mengen; das Tessin blieb nahezu trocken.<br/>
Am 27. und 28. ist auch die Nordseite des Jura noch bevorzugt.


Das Gebiet mit mehr als 100 mm Niederschlag umfaßt u.a. noch Folgende Stationen: Pilatus, Buchsteg, Weggis, Küßnacht, Zug, Schönenberg, Einsiedeln, Willerzell, Lachen, Oberkirch, Wald, Sternenberg.<br/>
Für den 27. ergibt sich die in Karte 10 dargestellte Niederschlagsverteilung. Man erkennt einen Streifen mit über 40 mm Niederschlagshöhe in den Alpen, der durch folgende Stationen festgelegt ist:
Ebenfalls mehr als 100 mm hatten Teufen und Arbon. Gegen das Mittelland und gegen die Hochalpen fallen die Beträge rasch ab, immerhin sind sie im nordschweizerischen Mittelland nicht unbeträchtlich.<br/>
Lauterbrunnen(43 mm), Beatenberg(54), Flühli(45), Gadmen(59), Grimsel(56), Färnigen(71), Unterschächen(47), Braunwald(79), Oberiberg(52), Morgarten(44), Vorderwäggital(51), Elm(56),  Weißtannen(48), Ebnat(61).<br/>
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Weitere Kerne mit über 40 mm finden sich bei Jaun(53 mm), im Prätigau (Klosters 42 mm, Schiers 46), im Sololhurner und Aargauer Jura (Solothurn 53 mm, Weißenstein 45, Langenbruck 53,   Wintersingen 48, Beznau 44, Laufenburg 56).<br/>
Die Niederschläge begannen im Kerngebiet ungefähr um 18.00 Uhr.<br/>
Einige Stationen haben um zirka 21.00 Uhr Zwischenmessungen gemacht, aus denen hervorgeht, dass im Kerngebiet während der ersten 3 1/2 Stunden nach Beginn des Regens bereits 60-80% der Gesamtmenge gefallen sind.<br/>
Diese gewaltigen Wassermassen haben in dem etwa von der 100 mm Niederschlagskurve umschlossenen Gebiet großen Schaden angerichtet, worüber in den Tageszeitungen seinerzeit ausführlich  berichtet wurde.<br/>
Verschüttungsschäden durch Murgänge und Geländerutschungen sind vorgekommen besonders an den gegen den Zugersee abfallenden Berghängen,<br/>
wie der Rigi, des Zugerbergs und des Roßbergs, an den Hängen um den Aegerisee (Unterägeri, Bergmatt), in der Umgebung von Sattel, Biberbrücke, Einsiedeln und am Nordhang des Etzel.<br/>


Hauptsächlich unter Hochwasserschaden (Wildbäche, Überschwemmungen) haben gelitten u.a.:<BR/>
Die Regenkarte Nr.11 für den 28. zeigt abgesehen von den sehr viel größeren Beträgen ein ähnliches Bild.<br/>
Goldau (Rigiaa), Steinen (Steineraa), Oberägeri und besonders das Tal der Lorze bei Neuägeri, die Umgebung von Baar, ferner Egg (Sihl), Lachen (Spreitenbach, Rotbach), Kaltbrunn, dann auch Appenzell und die Gegend von Bischofszell und Roggwil.<br/>
Die Zone mit mehr als 40 mm Niederschlag deckt an diesem Tage fast das ganze nordseitige Alpengebiet.<br/>
Dadurch traten auch längere Unterbrechungen im Straßen- und Bahnverkehr auf, so u. a. zwischen Meggen und Küßnacht, Immensee und Goldau, Goldau und Zug, Richterswil und Siebnen; die  Südostbahn war zeitweise vollständig stillgelegt.<br/>
Die wichtigsten Maxima sind: Rochers-de-Naye 125 mm, Jaun 141, Beatenberg 122, Furka 175, Isental 99, Braunwald 121, Seewis 69.<br/>


Seit Bestehen des Stationennetzes läßt sich hinsichtlich der Menge der gefallenen Niederschläge nur ein Fall mit dem vorliegenden vergleichen, nämlich der 14. Juni 1910.<br/>
Sodann fiel an diesem Tag mehr als 40 mm auf der Nordwestseite des Waadtländer und Neuenburger Jura (La Cure 45 mm, L'Auberson 52, Les Brenets 53, Mont Soleil 50).<br/>
Die damalige Niederschlagsverteilung war eine ganz ähnliche. Ein Kerngebiet lag über der Rigi (Rigi 230mm?, Vitznau 233mm), ein zweites über Wildhaus (190mm).<br/>
Am 29. wurde 40 mm Niederschlagshöhe nur noch auf kleinen Gebieten überschritten, nämlich u. a. auf den Stationen:<br/>
Es seien hier noch die bisherigen Höchstbeträge (Tagesmengen) für einige Stationen angeführt: Weggis 125mm, Walchwil 138mm, Unterägeri 110mm, Oberkirch 119mm, Einsiedeln 108mm (alle am 14.Juni 1910).<br/>
Rochers-de-Naye (67  mm), Jaun (43), Adelboden (48), Beatenberg  (47), Gersau (43), Klönthal (70), Schönenberg (Waldhalde)(41), Ricken (48), Wildhaus (46), Schwäbrig (41).
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Begreiflicherweise war bei so großen und verbreiteten Niederschlägen der verursachte Gesamtschaden ein beträchtlicher.<br/>
Darüber wurde seinerzeit in der Tagespresse ausführlich berichtet. Immerhin verteilen sich die Niederschläge über einen nicht allzu kurzen Zeitraum.<br/>
Eigentliche Starkregen kamen in der Nacht vom 28. zum 29. vor. Straßen- und Bahnunterbrechungen durch Murgänge und Ueberschwemmungen, Zerstörung von Brücken hatten erhebliche  Verkehrsstörungen zur Folge<br/>
u. a. bei Bex, im Saanenland, im Simmen- und Lütschinental, am rechten Thunerseeufer, an der Gotthardstraße, am Lowerzersee, ferner am Klausenpass, im Sernftal, zwischen Sargans und Flums.<br/>
Leider sind auch Todesopfer zu beklagen, indem auf dem Theilegg ob Saanen durch eine Geländerutschung ein Bauernhaus fortgerissen wurde, wobei zwei Erwachsene und ein Kind den Tod fanden.<br/>
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Die Druckverteilung ist während der drei Tage im wesentlichen diese: Ueber dem Atlantik westlich von Nordspanien liegt der Kern eines kräftigen Hochdruckgebiets (Azorenhoch, Maximum über 775mm).<br/>
Wenn auch zur Aufklärung der Größe der hier gefallenen Niederschlagsmengen weit umfangreichere Beobachtungstatsachen erforderlich wären, als derzeit möglich ist, so läßt sich doch wenigstens über die Natur des Phänomens einiges sagen:<br/>
Dieses läuft ostnordostwärts über dem Alpenvorland in einen kleinen Keil aus. Depressionen wandern im südöstlicher Richtung in der Zone Island-Südskandinavien-Zentralrußland.<br/>
Sein Verlauf zeigt, daß hier eine durch einen niederen Kaltlufteinbruch ausgelöste gewitterhafte Umschichtung einer im labilen (feuchtlabilen) Gleichgewicht befindlichen Luftmasse  stattgefunden haben muß.<br/>
Relativ tiefer Druck herrscht auch auf der Südseite der Alpen, über Italien und der Adria.<br/>
 
Am 27. nähert sich der Schweiz, bei noch relativ hohem Druck, von NNW her eine Warmfront. Zwischen 8 und 10 h registriert der Säntisthermograph einen ziemlich plötzlichen  Temperaturanstieg bei auffrischendem südwestlichem Wind.<br/>
Es sei zunächst der Ablauf des primären Kaltlufteinbruchs im Flachland an Hand der Züricher Beobachtungen kurz beschrieben:<br/>
Von Mitternacht an bleibt die Temperatur auch in den Niederungen konstant; die gesamte Zunahme beträgt bis dahin (Zürich und Säntis) zirka 8°.<br/>
Nachdem am Vormittag der Himmel mäßig mit Altocumuli bewölkt gewesen war, denen sich am Nachmittag am Horizont,<br/>
Der Luftdruck beginnt auf dem Säntis um zirka 21 h zu fallen, in Zürich schon 10 Stunden früher, was sich durch den Ersatz der präexistierenden Kaltluftschicht zwischen Zürich und  Säntis durch wärmere Luft erklärt.<br/>
d. h. in den Alpen und im Jura große Cumuli und Cumulonimbi hinzugesellt hatten, zog gegen Abend eine rasch dunkel werdende Wolkendecke von Westen her auf.<br/>
Um 10 h beginnen zunächst in der Nordostschweiz, gegen Mittag auch im Westen die Niederschläge, die hier auch in den Niederungen anfangs teilweise in Schneeform fallen, doch bald bei  steigender Temperatur, bis in die Höhenlage von etwa 2000 m in Regen übergehen.<br/>
Die Temperatur hatte ihr Maximum von 27.7° um 15.00 Uhr erreicht und sank dann, zunächst langsam infolge der Bewölkungszunahme,<br/>
Die Niederschläge sind zunächst schwach. Erst nachts, nach Passage der Warmfront fällt die Hauptmenge dieses Tages.<br/>
stärker von 16.40 Uhr an mit vorübergehend auffrischendem Wind (Turbulenz).<br/>
Für diese Niederschläge sind, wie überhaupt während der ganzen Regenperiode, offenbar die durch das Gebirge bewirkten Konvergenzen der Strömung und damit aufsteigenden Bewegungen der Luft verantwortlich zu machen, denn weitere bewegliche Fronten haben die Alpen bis zum 29. nicht passiert;<br/>
Als Anfangszeitpunkt des eigentlichen Kaltlufteinbruchs kann 18.00 Uhr angesehen werden, denn um diese Zeit beginnt mit einer weiteren Temperaturstufe der Druckanstieg.<br/>
die Schweiz bleibt zunächst dauernd in der Warmluftmasse. Die während der Nacht vom 27. bis 28. in Frankreich gefallenen Niederschläge betragen außerhalb der Gebirgszone nicht mehr als 0.1mm.<br/>
Beide sind 3 bis 4 Stunden später zu Ende. Die Temperatur ist dabei um 6° gefallen, der Druck um 3.8 mm gestiegen.<br/>
Die Strömung ist in Frankreich westlich, in der Schweiz bis zur Kammhöhe der Alpen und in Süddeutschland westsüdwestlich und dreht mit zunehmender Höhe nach Norden.<br/>
Während dieser Zeit weht auch der Wind etwas heftiger, aber nie stärker als 13 m/sec.
Die Passstationen melden Luftübertritt von Norden nach Süden. Dann ist aber die Strömung auch sehr intensiv und hat infolge ihrer maritimen Herkunft und ihrer hohen Luftwärme einen  großen Wasserdampfgehalt.<br/>
Entsprechend dem verhältnismäßig kleinen horizontalen Temperatur- und Druckgradienten (2-3 mm/100 km).<br/>
Die Bedeutung der Orographie kommt aber erst am 28. so recht zur Geltung in Verbindung mit einer stationären Front im Osten der Alpen, die das Ausweichen der Warmluft nach jener Seite  hindert.<br/>
 
Am 28. dringt nämlich auf der Rückseite einer Depression über Polen polare Kaltluft über Deutschland hinweg nach Süden vor.<br/>
Auch die Windrichtung (WNW) hat nur eine kleine vorübergehende Drehung erfahren (NNW, 17.45 - 18.45 Uhr).<br/>
Ihre Grenze gegen die Warmluft im Westen verläuft um 19 h des 28. am Boden ungefähr über Innsbruck, Karlsruhe, Antwerpen, Yarmouth, schließt also mit der Alpenkette eine Ecke ein, in der die Aufstauung der Warmluft stattfindet.<br/>
Eine eigentliche Böenwolke scheint nicht beobachtet worden zu sein, dagegen traten zwischen 18.30 und 21.30 mäßige Gewitterstörungen auf.<br/>
Dadurch einerseits erklären sich die großen Beträge, die in der Nacht vom 28. zum 29. gefallen sind.<br/>
Niederschlag fiel von 18.30 Uhr an, intensiv von 19 bis 23.30 Uhr (28mm).<br/>
Andrerseits deuten die Gewitter, die vor allem im Reußtal um zirka 6 h, aber auch im Pays d'Enhaut (Donner um 3 h) gemeldet werden, auf instabile Umlagerungen hin.<br/>
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Um die genannte Zeit erreicht der Regen seine größte Intensität. Die Windrichtung geht im nördlichen Alpenvorland (Schweiz, Süddeutschland) in eine westliche bis nordwestliche über.<br/>
 
Die Drehung nach Nord mit der Höhe verstärkt sich noch durch den Ersatz der Luftmassen durch kältere im Osten Europas, wärmere im Westen in den untern Schichten.<br/>
Dieser Kaltlufteinbruch erweist sich somit als ein zwar namhafter, aber keineswegs besonders intensiver.<br/>
Auf dem Säntis dreht der Wind zwischen 19 h und 23 h nach NW. Auch in den nach W bis N offenen Tälern macht sich eine taleinwärts gerichtete Strömung bemerkbar, so im obern Saanetal,  im Haslital und im Reußtal.<br/>
Einzig die großen Regenmengen sind auch hier auffallend. Auf dem Säntis (2500m) beträgt der entsprechende Temperaturfall noch 3-4°, der Druckanstieg ist hier kaum mehr merklich.<br/>
Speziell sei auf die Bevorzugung der Nordwestseite des Jura am 28. aufmerksam gemacht. Von 13 h des 29. an lassen die Niederschläge nach.<br/>
Über Gestalt und Bewegung der „Frontlinie" in der Schweiz läßt sich wenig aussagen. Entsprechende Punkte des Verlaufs des Einbruchs scheinen Basel und Bern ungefähr gleichzeitig, Genf 2 1/2 Stunden früher, Zürich 1 Stunde später erreicht zu haben.<br/>
In Zürich regnet es noch bis zirka 20 h. Die Schneefallgrenze steigt zeitweise auf zirka 2500 m.<br/>
Danach hätte die Front eine nordsüdliche Richtung und längs der Alpenkette eine Geschwindigkeit von zirka 60 Km/h gehabt.<br/>
Wie die Wetterkarten zeigen, weicht die Front im Laufe des 29. langsam ostwärts zurück. Zudem hat schon am Vorabend der Abbau des den Alpen im NW vorgelagerten Hochdruckkeils von Nordwesten her begonnen.<br/>
Die Isochronen für irgend ein Phänomen, so besonders diejenigen der Gewitter, sind aber jedenfalls keine Geraden.<br/>
Auf dem Säntis dreht der Wind ebenfalls um die Mittagszeit des 29. wieder von NW in die WSW- bis W-Richtung zurück.<br/>
Allerdings sind die Gewitter nicht streng an die Front geknüpft. Einige gehen ihr ziemlich weit voraus. Sie weisen deutlich auf die vorhandene Labilität hin.<br/>
Um 19 h des 29. liegt eine ziemlich tiefe Randzyklone über dem Skagerrak mit noch ausgeprägtem Warmsektor im Süden.<br/>
 
Die Warmfront im Osten hat Hamburg passiert; über dem Kanal liegt jetzt eine Kaltfront, die am 30. in der Frühe die Alpenkette berührt und der ein Restanteil der am 30. um 7 1/2 h  gemessenen Niederschläge „vom 29." angehört. <br/><br/>
Ueber den Verlauf der Störung im Kerngebiet der Niederschläge sei folgendes mitgeteilt:<br/>
Die Bewölkung war hier am Vormittag noch schwach, am Nachmittag trat starke Cumulonimbusbildung ein.<br/>
Ein Beobachter in Brunnen spricht von großen, schwarzen, merkwürdig geformten Wolken, die sich kurz nach 16.00 Uhr von Westen kommend zu großen Massen über der Gegend des Vierwaldstättersees zusammengeschoben hätten.<br/>
Der Beobachter auf Rigi-Kulm notierte um 13.30 Uhr stärkere Bewölkung im NW, von woher gegen 16.30 Uhr eine dunkle Wolkenwand aufgezogen sei.<br/>
 
Nach seinen Notizen fällt auf dem Rigi der Starkregen der Hauptphase während zwei getrennten Intervallen: 17.55-18.45 Uhr und 19.45-22.00 Uhr, die zwei Stufen des Temperaturabstiegs von je 3° entsprechen.<br/>
Das erste war mit Hagelfall und Blitzschlägen verbunden. Während der Zwischenzeit, die nur „einzelne leichte Regenfälle" aufweist, erhöhte sich die Temperatur vorübergehend etwas.<br/>
Vom Säntis, wo sich der ganze Vorgang 1 1/2 Stunden später abspielte, liegen keine Aufzeichnungen über Einzelheiten des Verlaufs der Niederschläge vor.<br/>
Sie begannen hier merkwürdig spät (20.45 Uhr). Der Gang der Temperatur zeigt dieselben Besonderheiten wie auf dem Rigi.<br/>
Das kleine Temperaturmaximum der „Zwischenzeit" (21.15 Uhr) fällt mit einer Winddrehung zusammen.<br/>
Vorher (also auf der Vorderseite der Störung) herrschte (seit 17.00 Uhr) mäßiger ENE-Wind (Rigi ebenfalls NE-Wind), nachher (Rückseite) starker WNW- bis NW-Wind (vor 16.00 Uhr SW-Wind).<br/>
Die zwei Intervalle, von denen hier die Rede war und die offenbar zwei „Armen" des aufsteigenden Luftstroms entsprechen, der den Kern der Störung bildet, gehören beide der  Kaltlufteinbruchszone an.<br/>
Dieser „Kern der Störung" befindet sich an der Stelle, wo die Kaltfront die Alpenkette berührt.<br/>
Der Vorgang seiner Fortbewegung — besser Weiterentwicklung, denn die Störung ist offenbar starken Transformationen unterworfen — ist ziemlich kompliziert.<br/>
Doch lassen sich wenigstens über die Ankunftszeiten des Gewitterkerns über einigen Stationen ungefähre Angaben machen: Rigi 18.30 Uhr, Lachen 19.15 Uhr, Appenzell 20.30 Uhr, St. Gallen 21.30 Uhr.<br/>
Die Häufigkeit und Intensität der elektrischen Entladungen war im Rigigebiet mäßig, groß in Lachen und besonders in der Gegend von Appenzell und St. Gallen.<br/>
Diese Angaben mögen genügen.
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Sie zeigen, daß wir es hier im Prinzip mit dem folgenden Vorgang zu tun haben:<br/>
Die an jeder Kaltfront eintretende aufsteigende Bewegung der vor ihr liegenden feuchten Warmluft wird an der Stelle, wo die Kaltfront die Alpenkette berührt, sehr verstärkt,<br/>
weil die Warmluft hier durch das Gebirge am horizontalen Ausweichen gehindert wird.<br/>
Dieses erzwungene Aufsteigen setzt sich hier fort in einen von selbst ablaufenden gewitterartigen Umsturz der ganzen Warmluftmasse.<br/>
Daß ein solcher eintritt, setzt voraus, daß die erzwungene primäre Hebung eine von den Labilitätsverhältnissen abhängige genügende Höhe erreicht.<br/>
Dies war in den Alpen der Fall, nicht aber im Jura, der ja von den aus Westen bis Nordwesten kommenden Luftmassen zuerst erreicht wurde,<br/>
offenbar weil dieses Gebirge selbst nicht hoch genug ist, um einen namhaften Umsturz in die Wege zu leiten. Dieser trat daher erst an den Alpen ein.<br/>
Ueber die Beschaffenheit der Luftmasse (Feuchtigkeitsgehalt, Stabilitätsverhältnisse), die hier zur Umschichtung gelangte, ließ sich leider direkt nichts ermitteln.<br/>
Zwar fand eine aerologische Sondierung in München am Morgen statt. Nach ihr aber erweist sich die dortige Luftmasse als so trocken, daß sie nicht mit der in der Schweiz zum Ausregnen  gekommenen identisch sein kann.<br/>
 
Da die Morgenbeobachtungen der schweizerischen Höhenstationen mit ihrer ebenfalls sehr geringen Feuchtigkeit gut zu den Münchener Resultaten passen,<br/>
so muß wohl angenommen werden, daß die in Fragestehende feuchtere Luftmasse erst im Laufe des Tages (9. Sept.) in die Gegend des Alpenvorlandes gelangt ist.<br/>
Darauf deutet auch der Umstand hin, daß am Nachmittag unsere Stationen außer höherer Temperatur auch wesentlich höhere Werte der relativen Feuchtigkeit aufweisen als am Morgen.<br/>
Herr G. Böhme, Davos, hat in einer demnächst in der Met. Zeitschr. erscheinenden Arbeit („Analyse der Schwergewitter vom 9. September 1934 in der Schweiz")<br/>
Analyse der Schwergewitter vom 9. September 1934 in der SchweizAnalyse der Schwergewitter vom 9. September 1934 in der Schweiz eine Analyse der Luftmassen über Westeuropa durchgeführt,<br/>
deren Ergebnisse, obschon sie sich notgedrungen lediglich auf die deutschen Aufstiege vom 9. und auf die westeuropäischen vom 8. September stützen,<br/>
dennoch gewisse Rückschlüsse auf die Verhältnisse zulassen, die während der Störung in der Schweiz bestanden haben.<br/>
 
Nach der Passage der anregenden Kaltfront dauern natürlich die Ausgleichsvorgänge in der Atmosphäre und damit auch die Niederschläge noch fort.<br/>
Auch wird noch eine gewisse Stauung der Kaltluft an den Alpen wirksam sein.<br/>
Ferner macht sich nach Mitternacht eine Staffelfront in den Thermogrammen durch eine weitere Stufe von 1 bis 2° (fallend) bemerkbar.<br/>
Der Regen dauerte noch bis gegen Mittag des 10. September.<br/>
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Werfen wir nun noch einen Blick auf die Wetterkarte (9. September 8.00 Uhr).<br/>
Ueber dem Nordmeer liegt eine Depression (Minima 745 bezw. 740 mm südöstlich und nordöstlich von Island) mit zwei V-förmigen Ausläufern über Westengland und Westdeutschland.<br/>
Auf dem Kontinent und über dem Mittelmeer ist die Druckverteilung flach. Mäßige Hochdruckgebiete liegen über Finnland und über den Azoren.<br/>
Die Troglinie des zweitgenannten Ausläufers verläuft etwa über Helder, Aachen, Dijon, Marseille. Sie bezeichnet annähernd die Grenze zwischen der Kaltluft im Westen und der Warmluft im Osten.<br/>
Die Temperaturunterschiede vor und hinter derselben sind am Boden zwar nicht bedeutend. Die Druckverteilung in der Höhe, die aus den Ergebnissen der deutschen Sondierungen und aus dem Windsystem in der Höhe (Piloten) erschlossen werden kann,<br/>
deutet aber auf das Vorhandensein eines Warmluftgebietes in Form eines Keils, dessen Basis über der westlichen Poebene, dessen Spitze über Dänemark liegt.<br/>
(Am 8. war dieses Warmluftgebiet noch ausgedehnter. Ueber Köln herrschte am 8. um 7.30 Uhr in 700 m Meereshöhe eine Temperatur von 27.1°, in 2100 m 13.8 °.)<br/>
 
Ueber dem Warmluftgebiet liegt in der Höhe ein Hochdruckkeil, an dessen Westflanke südliche bis südwestliche, an dessen Ostflanke nördliche Winde wehen. Oestlich der Rheinzone finden wir wieder kältere Luftmassen.<br/>
Die genannte Front Grenze der französischen Kaltluft hat bei ihrem Vordringen nach Osten nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Frankreich und Deutschland ziemlich heftige Gewitterstörungen verursacht.<br/>
Ihr Niederschlagsgebiet ist aber nicht wesentlich über die Rheinzone hinausgelangt. München hat ebenfalls nur ganz geringe Niederschläge erhalten.<br/>
Offenbar ist die feuchte Warmluft abgeflossen bezw. weggedrängt worden und eine Vereinigung der westlichen Kaltluft mit der nur noch wenig wärmeren Kaltluft im Osten eingetreten.<br/>
Wie gewöhnlich hat die Kaltluft über Frankreich und dem Voralpenland bis zum Nachtag (10.) ein Hochdruckgebiet aufgebaut, von dem aus ein Hochdrucksattel nach dem nordosteuropäischen Hoch hinüberführt.<br/>
Die Erniedrigung die die Temperatur von 7.30 Uhr des 9. bis um 7.30 Uhr des 10. erfahren hat, beträgt auf dem Säntis 9.4° auf dem Rigi 5.8°.<br/><br/>


==Medienlinks==
==Medienlinks==

Version vom 5. April 2019, 16:07 Uhr

Quick Facts

Type of Event Flood
Verification State QC1
ESWD Not reported
Location Alpennordhang, Waadtländer Alpen
Time / Duration 24 hours
Date 28.10.1935
Magnitude / Dimension >100mm of rain in 24 hours
Damage -
Fatalities 3
Injuries -
Report Source chronicles, general archive
Remarks -

Ereignis

Anhaltend starke Regenfälle verursachten Wasser- und Rutschungsschäden in 6 Kantonen.
Bei Saanen (BE) wurde ein Bauernhof durch eine Rutschung fortgerissen, 3 Personen fanden dabei den Tod.
Quelle: Gerhard Röthlisberger - Chronik der Unwetterschäden in der Schweiz

Messdaten

Übersicht Regenmengen >70mm vom 28.10.1935

© Kai Kobler >> Link zu interaktiver Karte

Bilder

Tafel Nr.34 vom Industriepfad Lorze

© Heiri Süess, Allenwinden


Analyse von M. Grütter

Am 27.,28. und 29. Oktober 1935 fielen besonders auf der Nordabdachung der Alpen große Niederschläge.
Die Tagesmengen erreichten am 28. eine abnorme Höhe, so daß in verschiedenen Alpentälern Hochwasser eintrat.
Die Verteilung der Niederschläge ist an allen drei Tagen ähnlich. Hauptniederschlagszone ist das Alpengebiet nördlich der Rhone und des Rheins.
Dagegen erhielt die Südabdachung nur geringe Mengen; das Tessin blieb nahezu trocken.
Am 27. und 28. ist auch die Nordseite des Jura noch bevorzugt.

Für den 27. ergibt sich die in Karte 10 dargestellte Niederschlagsverteilung. Man erkennt einen Streifen mit über 40 mm Niederschlagshöhe in den Alpen, der durch folgende Stationen festgelegt ist: Lauterbrunnen(43 mm), Beatenberg(54), Flühli(45), Gadmen(59), Grimsel(56), Färnigen(71), Unterschächen(47), Braunwald(79), Oberiberg(52), Morgarten(44), Vorderwäggital(51), Elm(56), Weißtannen(48), Ebnat(61).
Weitere Kerne mit über 40 mm finden sich bei Jaun(53 mm), im Prätigau (Klosters 42 mm, Schiers 46), im Sololhurner und Aargauer Jura (Solothurn 53 mm, Weißenstein 45, Langenbruck 53, Wintersingen 48, Beznau 44, Laufenburg 56).

Die Regenkarte Nr.11 für den 28. zeigt abgesehen von den sehr viel größeren Beträgen ein ähnliches Bild.
Die Zone mit mehr als 40 mm Niederschlag deckt an diesem Tage fast das ganze nordseitige Alpengebiet.
Die wichtigsten Maxima sind: Rochers-de-Naye 125 mm, Jaun 141, Beatenberg 122, Furka 175, Isental 99, Braunwald 121, Seewis 69.

Sodann fiel an diesem Tag mehr als 40 mm auf der Nordwestseite des Waadtländer und Neuenburger Jura (La Cure 45 mm, L'Auberson 52, Les Brenets 53, Mont Soleil 50).
Am 29. wurde 40 mm Niederschlagshöhe nur noch auf kleinen Gebieten überschritten, nämlich u. a. auf den Stationen:
Rochers-de-Naye (67 mm), Jaun (43), Adelboden (48), Beatenberg (47), Gersau (43), Klönthal (70), Schönenberg (Waldhalde)(41), Ricken (48), Wildhaus (46), Schwäbrig (41). --- Begreiflicherweise war bei so großen und verbreiteten Niederschlägen der verursachte Gesamtschaden ein beträchtlicher.
Darüber wurde seinerzeit in der Tagespresse ausführlich berichtet. Immerhin verteilen sich die Niederschläge über einen nicht allzu kurzen Zeitraum.
Eigentliche Starkregen kamen in der Nacht vom 28. zum 29. vor. Straßen- und Bahnunterbrechungen durch Murgänge und Ueberschwemmungen, Zerstörung von Brücken hatten erhebliche Verkehrsstörungen zur Folge
u. a. bei Bex, im Saanenland, im Simmen- und Lütschinental, am rechten Thunerseeufer, an der Gotthardstraße, am Lowerzersee, ferner am Klausenpass, im Sernftal, zwischen Sargans und Flums.
Leider sind auch Todesopfer zu beklagen, indem auf dem Theilegg ob Saanen durch eine Geländerutschung ein Bauernhaus fortgerissen wurde, wobei zwei Erwachsene und ein Kind den Tod fanden.


Die Druckverteilung ist während der drei Tage im wesentlichen diese: Ueber dem Atlantik westlich von Nordspanien liegt der Kern eines kräftigen Hochdruckgebiets (Azorenhoch, Maximum über 775mm).
Dieses läuft ostnordostwärts über dem Alpenvorland in einen kleinen Keil aus. Depressionen wandern im südöstlicher Richtung in der Zone Island-Südskandinavien-Zentralrußland.
Relativ tiefer Druck herrscht auch auf der Südseite der Alpen, über Italien und der Adria.
Am 27. nähert sich der Schweiz, bei noch relativ hohem Druck, von NNW her eine Warmfront. Zwischen 8 und 10 h registriert der Säntisthermograph einen ziemlich plötzlichen Temperaturanstieg bei auffrischendem südwestlichem Wind.
Von Mitternacht an bleibt die Temperatur auch in den Niederungen konstant; die gesamte Zunahme beträgt bis dahin (Zürich und Säntis) zirka 8°.
Der Luftdruck beginnt auf dem Säntis um zirka 21 h zu fallen, in Zürich schon 10 Stunden früher, was sich durch den Ersatz der präexistierenden Kaltluftschicht zwischen Zürich und Säntis durch wärmere Luft erklärt.
Um 10 h beginnen zunächst in der Nordostschweiz, gegen Mittag auch im Westen die Niederschläge, die hier auch in den Niederungen anfangs teilweise in Schneeform fallen, doch bald bei steigender Temperatur, bis in die Höhenlage von etwa 2000 m in Regen übergehen.
Die Niederschläge sind zunächst schwach. Erst nachts, nach Passage der Warmfront fällt die Hauptmenge dieses Tages.
Für diese Niederschläge sind, wie überhaupt während der ganzen Regenperiode, offenbar die durch das Gebirge bewirkten Konvergenzen der Strömung und damit aufsteigenden Bewegungen der Luft verantwortlich zu machen, denn weitere bewegliche Fronten haben die Alpen bis zum 29. nicht passiert;
die Schweiz bleibt zunächst dauernd in der Warmluftmasse. Die während der Nacht vom 27. bis 28. in Frankreich gefallenen Niederschläge betragen außerhalb der Gebirgszone nicht mehr als 0.1mm.
Die Strömung ist in Frankreich westlich, in der Schweiz bis zur Kammhöhe der Alpen und in Süddeutschland westsüdwestlich und dreht mit zunehmender Höhe nach Norden.
Die Passstationen melden Luftübertritt von Norden nach Süden. Dann ist aber die Strömung auch sehr intensiv und hat infolge ihrer maritimen Herkunft und ihrer hohen Luftwärme einen großen Wasserdampfgehalt.
Die Bedeutung der Orographie kommt aber erst am 28. so recht zur Geltung in Verbindung mit einer stationären Front im Osten der Alpen, die das Ausweichen der Warmluft nach jener Seite hindert.
Am 28. dringt nämlich auf der Rückseite einer Depression über Polen polare Kaltluft über Deutschland hinweg nach Süden vor.
Ihre Grenze gegen die Warmluft im Westen verläuft um 19 h des 28. am Boden ungefähr über Innsbruck, Karlsruhe, Antwerpen, Yarmouth, schließt also mit der Alpenkette eine Ecke ein, in der die Aufstauung der Warmluft stattfindet.
Dadurch einerseits erklären sich die großen Beträge, die in der Nacht vom 28. zum 29. gefallen sind.
Andrerseits deuten die Gewitter, die vor allem im Reußtal um zirka 6 h, aber auch im Pays d'Enhaut (Donner um 3 h) gemeldet werden, auf instabile Umlagerungen hin.
Um die genannte Zeit erreicht der Regen seine größte Intensität. Die Windrichtung geht im nördlichen Alpenvorland (Schweiz, Süddeutschland) in eine westliche bis nordwestliche über.
Die Drehung nach Nord mit der Höhe verstärkt sich noch durch den Ersatz der Luftmassen durch kältere im Osten Europas, wärmere im Westen in den untern Schichten.
Auf dem Säntis dreht der Wind zwischen 19 h und 23 h nach NW. Auch in den nach W bis N offenen Tälern macht sich eine taleinwärts gerichtete Strömung bemerkbar, so im obern Saanetal, im Haslital und im Reußtal.
Speziell sei auf die Bevorzugung der Nordwestseite des Jura am 28. aufmerksam gemacht. Von 13 h des 29. an lassen die Niederschläge nach.
In Zürich regnet es noch bis zirka 20 h. Die Schneefallgrenze steigt zeitweise auf zirka 2500 m.
Wie die Wetterkarten zeigen, weicht die Front im Laufe des 29. langsam ostwärts zurück. Zudem hat schon am Vorabend der Abbau des den Alpen im NW vorgelagerten Hochdruckkeils von Nordwesten her begonnen.
Auf dem Säntis dreht der Wind ebenfalls um die Mittagszeit des 29. wieder von NW in die WSW- bis W-Richtung zurück.
Um 19 h des 29. liegt eine ziemlich tiefe Randzyklone über dem Skagerrak mit noch ausgeprägtem Warmsektor im Süden.
Die Warmfront im Osten hat Hamburg passiert; über dem Kanal liegt jetzt eine Kaltfront, die am 30. in der Frühe die Alpenkette berührt und der ein Restanteil der am 30. um 7 1/2 h gemessenen Niederschläge „vom 29." angehört.

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